: Ein erster Schritt zur Sichtbarmachung
Ein „x“ oder „d“ in Stellenanzeigen soll das dritte Geschlecht vor Diskriminierung schützen. Doch noch werden die beiden neuen Kürzel bei Bewerbungen eher selten verwendet
Von Katja-Barbara Heine
(m/w/x) oder (m/w/d): Wer derzeit auf Jobsuche ist, wird mit den beiden dritten Buchstaben, die seit Anfang des Jahres in Ausschreibungen in Klammern stehen, bereits vertraut sein. Sie richten sich an intersexuelle Menschen, die biologische Merkmale beider Geschlechter aufweisen und eine Identität jenseits von Mann und Frau entwickelt haben. Bisher konnte man sich im Geburtenregister als männlich oder weiblich eintragen oder die Angabe wurde offengelassen. Seit Januar 2019 ist nun auch das Geschlecht „divers“ möglich. Und dieses soll, so der Hintergrund, bei der Arbeitssuche nicht benachteiligt werden.
Die Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen in Deutschland (OII Germany) begrüßt das als „einen ersten Schritt in der Sichtbarmachung von geschlechtlichen Identitäten, die sich jenseits des Zweigeschlechtersystems verorten“. Auch beim Bundesverband Intersexuelle Menschen e. V. (IM e. V.) hofft man, dass die Maßnahme dazu beiträgt, „ein Bewusstsein für das Thema in der Öffentlichkeit zu schaffen“. Betroffene haben nun die Möglichkeit, „auch in Bewerbungen zu sich selbst zu stehen“.
Allerdings sei das neue Gesetz zum Geburtenregister ganz sicher nicht der große Wurf, den man sich erhofft hatte. Oberstes Ziel beider Organisationen ist es, operative Eingriffe an intergeschlechtlichen Kindern zu verbieten, durch die eines der beiden klassischen Geschlechter erzwungen werden soll. Studien zufolge hat es 2016 mehr als 2.200 Operationen an Genitalien von Kindern gegeben. „Die Mehrzahl der intersexuellen Menschen ist nicht krank und nicht behandlungsbedürftig“, hebt der IM e. V. hervor.
Lann Hornscheidt sieht sich selbst als „entzweigendernd“, weder Mann noch Frau, bezeichnet sich als „Forschex“ oder „Professex“, lehrte in den Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin und meint: „Durch das neue Kürzel schleicht sich die männliche Form vor der Klammer wieder als ganz selbstverständlich ein, Beispiel: Arzt (m/w/d).“ Die längerfristig einzige Lösung sei eine komplett genderneutrale Sprache. Immerhin sensibilisiere das neue Kürzel die Gesellschaft. Lann Hornscheidt beobachtet eine große Verunsicherung aufseiten der Arbeitgeber: „Nach meinen Vorträgen kommen häufig Leute zu mir und fragen, wie sie sich korrekt verhalten sollen.“
Nur wenige Menschen gehen so offensiv mit dem Thema um wie Lann Hornscheidt. „Inter* Personen haben nicht automatisch einen Personenstand ,divers’ oder ,offen’“, sagt Eve-Blaine Matthigack, Co-Chair von OII Germany. „Die meisten leben mit einem männlichen oder weiblichen Personenstand.“ Es sei davon auszugehen, dass in vielen Unternehmen intersexuelle Menschen beschäftigt sind, die sich nicht als solche erkenntlich machen. Ob sie sich nun vermehrt „outen“ werden, ist noch ungewiss. Erste Zahlen der Standesämter zeigen, dass bisher nur wenige Menschen von dem neuen Status Gebrauch machen. Beim IM e. V. wurden vereinzelt Fälle beobachtet, in denen Menschen nun den Mut finden, den Arbeitgeber über ihre Intersexualität zu informieren.
Ein Kürzel in einer Stellenanzeige ist immerhin schnell hinzugefügt. Die bei Bewerbungen immer häufiger genutzten Onlinemasken und Personalbögen hingegen entpuppen sich als schwerfällig. Hier kann meistens nach wie vor nur zwischen Herr oder Frau beziehungsweise männlich oder weiblich gewählt werden. Ins A Kromminga, Co-Chair von OII Germany:. „Selbst wenn sich intergeschlechtliche Menschen offen als solche bezeichnen würden, ist es bisher oft technisch nicht möglich, dies diskriminierungsfrei zu dokumentieren.“
Human Resources Manager und Blogger Stefan Scheller hält die Abkürzung für eine „unschöne Krücke“: Sie sei vor allem eingeführt worden, weil sich Unternehmen rechtlich absichern möchten: „Die Beweislastumkehr des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes besagt, dass Bewerber lediglich Indizien für eine vermutete Diskriminierung beweisen müssen, und dann trägt das Unternehmen die Beweislast für eine Nichtdiskriminierung.“ Befindet sich in der Ausschreibung ein Hinweis auf die Geschlechtsneutralität, könne das bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung helfen.
Trotz des Zusatzes könne Diskriminierung im Laufe des Auswahlprozesses natürlich stattfinden. „Von einer formal korrekten Stellenausschreibung bis hin zu einem diskriminierungsfreien Bewerbungsprozess und einem darauf aufbauenden diskriminierungsfreien Arbeitsalltag ist es ein weiter Weg“, so Stefan Scheller.
Eine der neuen Herausforderungen ist die Frage nach der korrekten Anrede: „Outen sich Personen mit dem dritten Geschlecht nicht explizit gegenüber dem Arbeitgeber, was in den seltensten Fällen anzunehmen ist, kann dieser gar nicht angepasst reagieren“, sagt Blogger Stefan Scheller. Der OII Germany rät: „Hat sich die intergeschlechtliche Person im Vorfeld mit männlich oder weiblich vorgestellt, erübrigt sich die Frage nach der Anrede. Bei einer Person mit Personenstand ,divers’ oder ,offen’ ist eine respektvolle Nachfrage ratsam, ob überhaupt eine Anrede gewünscht ist oder ob stattdessen einfach nur der Vor- und Zunahme ausreicht.“
Viele Arbeitgeber fragen sich, ob sie nun gesonderte WCs für intersexuelle Mitarbeiter einrichten müssen. Die Handwerkskammer zu Köln gibt Entwarnung: Aufgrund der derzeitigen Rechtslage sei das nicht nötig, da die Einteilung hier noch auf männlich und weiblich begrenzt ist. Dem IM e. V. zufolge kann jedoch gerade der Toilettengang als äußerst diskriminierend empfunden werden, etwa wenn ein Mitarbeiter mit männlichem Erscheinungsbild auf der Herrentoilette Damenhygieneprodukte entsorgen muss. Der Verband empfiehlt, bereits bestehende Toiletten um den Zusatz „divers“ zu ergänzen. Längerfristig könnten vielleicht eine Trennung in Steh- und Sitztoiletten oder Unisex-Kabinen die Lösung sein.
Infos unter www.im-ev.de, https://oiigermany.org & https://persoblogger.de
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