: Wechsel an Kasachstans Staatsspitze läuft nicht so glatt
Nach 29 Jahren Nasabarjew-Herrschaft erhält sein Wunschnachfolger Tokajew bei den Wahlennur 71 Prozent. Tausende Oppositionelle demonstrieren, mehrere hundert werden festgenommen
Von Barbara Oertel
Bei der Präsidentschaftswahl in Kasachstan am Sonntag hat Übergangsstaatschef Kassim-Schomart Tokajew klar gewonnen. Laut Wahlkommission kam der ehemalige Außenminister auf 70,8 Prozent der Stimmen, Oppositionspolitiker Amirschan Kosanow holte 16,2 Prozent.
Nach Angaben der Wahlkommission lag die Wahlbeteiligung bei 77 Prozent. Kritiker hatten zum Boykott aufgerufen. Am Wahltag protestierten zahlreiche Kasachen auf der Straße. Das Innenministerium sprach von nicht genehmigten Kundgebungen in der Hauptstadt Nur-Sultan (früher Astana) und in Almaty. Mehrere tausend Demonstranten hätten versucht, die Lage zu destabilisieren, hieß es weiter. 500 seien festgenommen worden.
Am Montag sammelten sich erneut Demonstranten im Zentrum Almatys, allerdings weniger als am Sonntag. Die Nachrichtenagentur AP beobachtete, wie mindestens 100 Personen auf einem zentralen Platz festgenommen wurden.
An Tokajews Wahlsieg hatte es keine Zweifel gegeben. Ernst zu nehmende Gegenkandidaten gab es nicht, da alle als regierungs- und linientreu gelten. „Die Ergebnisse stehen doch jetzt schon fest“, sagte vor der Wahl der kasachische Journalist Aleksandr Werwekin der taz.
Die Wahl symbolisiert Kontinuität. Am 19. März 2019 hatte der 78-jährige Nursultan Nasarbajew, der Kasachstan seit der Unabhängigkeit 1991 regiert hatte, in einer Fernsehansprache überraschend sein Amt niedergelegt. Das Amt des Präsidenten bekleidet seitdem Tokajew, ein enger Vertrauter von Nasarbajew. Mit 66 Jahren symbolisiert er kaum eine Verjüngung, wenngleich nachbearbeitete veröffentlichte Fotos etwas anderes glauben machen wollen. Nasarbajew bleibt derweil Chef der Regierungspartei und führt den Nationalen Sicherheitsrat.
Dass die nachträgliche Legitimation des Wechsels an der Staatsspitze nicht so geschmeidig vonstatten geht wie gewünscht, kommt nicht ganz überraschend. Denn in der Bevölkerung rumort es. Im Februar, nachdem fünf Kinder bei einem Hausbrand in Abwesenheit ihrer arbeitenden Eltern ums Leben gekommen waren, protestierten Dutzende Frauen für mehr staatliche Unterstützung von Familien. Im März gab es Proteste, nachdem die Regierung beschlossen hatte, die Hauptstadt Astana zu Ehren Nasarbajews in Nur-Sultan umzubenennen.
Seit April treten immer wieder junge Aktivisten an die Öffentlichkeit. Am 21. April wurde ein Banner während des Almaty-Marathons zum Politikum. Darauf stand: „Vor der Wahrheit kann man nicht weglaufen – Wir haben eine Wahl!“ Den Aufruf bezahlte die Urheberin Asija Tulesowa mit 15 Tagen Ordnungshaft.
Für fünf Tage in Haft wegen Rowdytum fand sich im April auch ein Aktivist wieder, der ein Banner mit der Aufschrift „Die einzige Quelle der staatlichen Gewalt ist das Volk“ an einer Brücke befestigt hatte. Dieser Satz steht übrigens in der kasachischen Verfassung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen