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Gilet jauneAndreas Rüttenauer Besuch beim zweitklassigen Vinci von Valenciennes

Einen Moment, bitte!“ Die Stimme der gestrengen Frau an der Kasse ist wahrscheinlich im ganzen Museum zu hören. Gehört haben wird sie dennoch kaum einer. Denn ich bin der einzige Besucher des Museums für schöne Künste von Valen­ciennes an diesem Sonntagmittag. Das wundert mich nicht. Schon auf dem Weg zum Museum, der mich fast durch die ganze Innenstadt geführt hat, ist mir niemand begegnet. Ist die Stadt evakuiert worden und ich habe es nicht mitbekommen? Diese Frage stelle ich mir auf dem Weg vorbei an geschlossenen Restaurants und Bäckereien. Tags zuvor hatte eine friedliche Armee von orangen Männchen und Frauchen vom Planeten Holland die Stadt besetzt. Jetzt war sie leer.

Die Frau an der Kasse und ein Museumsmitarbeiter, der gekommen war, um am Nachmittag eine Führung durch die Sonderausstellung zur Fußball-WM zu geben, waren immerhin der Beleg dafür, dass sich neben mir noch andere Menschen in Valenciennes aufhielten. Ich war also nicht in Lebensgefahr, weil gerade ein Blindgänger aus dem Weltkrieg im Ort entschärft wurde.

„Einen Moment, bitte“, schrie die Frau noch einmal. „Sie müssen noch Eintritt bezahlen. Sechs Euro.“ Dem freundlichen Mann, der später durch die Ausstellung führen wird, ist das peinlich. „Er will doch nur die Fußballausstellung sehen“, sagt er. „Nur die Fußballausstellung?“, fragt die Frau und verdreht die Augen. Ich erkläre ihr, dass ich als Reporter bei der WM unterwegs bin und mich deshalb eben vor allem die in der ganzen Stadt auf Plakaten beworbene Fußballausstellung interessiere. Noch einmal rollt sie mit den Augen und schaut mich an, als sei mein Kopf ein Fußball, womit sie vielleicht gar nicht einmal so unrecht hat – in diesen WM-Tagen zumindest.

Kurz darauf weiß ich, warum sie so verständnislos auf mich reagiert hat. Denn es gibt nicht wirklich eine Fußballausstellung. Zu jeder WM-Partie, erklärt mir der Guide, präsentiere das Museum zwei Exponate aus seiner Sammlung, die irgendwie mit dem Ländern zu tun haben, die in Valenciennes spielen. Diesmal ging es also um Italien und Brasilien. Nun, zum Thema Brasilien hatte sich nicht viel angesammelt in Valenciennes, und so stellte man ein Buch mit einer Reisebeschreibung aus dem 17. Jahrhundert aus. Italien wurde durch eine wahnsinnig schlechte Kopie von Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ von einem völlig zu Recht nicht namentlich bekannten flämischen Maler des 17. Jahrhunderts repräsentiert. Nun ja.

„„Er will doch nur die Fußballausstellung sehen“, sagt er. „Nur die Fußball­ausstellung?“, fragt die Frau und verdreht die Augen

Für diesen wirklich rührenden Versuch, Fußballfans in das Museum zu locken, hätte ich gerne sechs Euro gezahlt. Am Ende durfte ich aber doch umsonst in die Ausstellung.

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