Kindergarten Lichtenberg, ein Lehrgedicht

Betonformschöne Schmetterlingsformen an einer Kita in Lichtenberg Foto: Katarzyna Sonnewend/plainpicture

Plattenbaulaub. DDR-Formsteinsysteme 60×60

ornamentieren noch immer die Tagesstätte.

Ahornblattserien. Schwarzpappelreihen. Hohlreliefs

drängen sich Wänden auf, nach dem Schema

der Kinderhand, die sich zum Muttertag als Geschenk

in ein Gipsbett preßt. Wir betreten die Institution

im moosgrünen Perlonpullover, sehen auf Augenhöhe

den wieder und wieder farbig lackierten Abdruck

einer Idee von Blatt.

Heute startet das 20. Poesiefestival Berlin in der Akademie der Künste in Tiergarten, das diesmal unter dem Motto „Endlich Zeit für Sprache“ steht. Das Haus für Poesie, das das Festival ausrichtet, erwartet Arbeiten von 150 KünstlerInnen aus 25 Ländern.

In diesem Jahr wirft das Poesiefestival einen Blick auf die Dichtkunst der USA, in einem Übersetzungsworkshop übersetzen sich amerikanische und deutsche Autoren gegenseitig. Ein Forum diskutiert über Diskursvergiftung, Vertrauensverlust und poetischen Widerstand. Die Ausstellung Aubergine mit Scheibenwischer präsentiert erstmals umfänglich Oskar Pastiors „Zeichengebilde“.

Marion Poschmann liest neben acht DichterInnen aus aller Welt heute bei der Langen Nacht der Poesie, die wie üblich das Festival eröffnet.

Ab 20 Uhr in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Tiergarten. Eintritt 13, ermäßigt 8 Euro (inklusive Anthologie) Programm unter www.haus-fuer-poesie.org (sm)

Kindliche Wahrnehmung: das Immergleiche, heißt es,

erleichtert. Kleine Finger mit der Munterkeit von Wurst

schneiden Blätter aus Buntpapier, pressen Blätter

im Märchenbuch. Plattenbaulaub. Wir wachsen auf im

betongewordenen Trost der Bäume, hinter den

blätternden Flächen mit ihren Verästelungen

Geboren 1969 in Essen, studierte Poschmann Germanistik, Philosophie, Slawistik und Szenisches Schreiben. Sie lebt als freie Schriftstellerin in Berlin. Für ihre Prosa und Lyrik wurde sie mehrmals ausgezeichnet, erhielt etwa den Peter-Huchel-Preis und den Ernst-Meister-Preis für Lyrik.

Ihr Roman Die Sonnenposition stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und gewann den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis 2013, 2017 erhielt sie den von Matthes & Seitz Berlin verliehenen Deutschen Preis für Natur Writing.

Das hier abgedruckte Gedicht aus dem Zyklus „Kindergarten Lichtenberg, ein Lehrgedicht“ stammt aus ihrem jüngsten Gedichtband „Geliehene Landschaften“. Lehrgedichte und Elegien, Suhrkamp Verlag, Berlin 2016, 118 Seiten, 19,95 Euro.

In Anmerkungen zum Zyklus am Ende des Buches schreibt Marion Poschmann: „Die Kinderkombinationen der DDR wurden an ihren Eingangsbauten häufig mit Betonformsteinen versehen. Die Module zeigten in der Regel Hohlreliefs mit den Motiven Schmetterling, Fisch, Ahornblatt sowie Pappellaub, und um der kindlichen Wahrnehmung entgegenzukommen, wurden sie farbig lackiert.“

ins Leere, mitten im Schatten der Krone, der Schwärze

der Referenz.

Marion Poschmann