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Grüne wählen Rot in Bremen

Im Bundesland plädiert der Grünen-Vorstand für Koalitionsverhandlungen mit SPD und Linken. Deren Parteivertreter auf Bundesebene jubeln, die FDP wittert Gefahr

Aus Bremen und Berlin Anna Lehmann und Benno Schirrmeister

Es ist historisch: Zum ersten Mal waren die Vorsitzenden aller Bundestagsfraktionen von SPD, Linken und Grünen der Einladung zum Sommerfest der SPD-Denkfabrik nach Berlin gefolgt. Der Thinktank eher linker SPD-Politiker bereitet seit 15 Jahren rot-rot-grüne Bündnisse auf Bundesebene vor. Als dort am Mittwochabend die Nachricht aufploppte, dass der Vorstand der Bremer Grünen sich dafür ausspricht, Koalitionsverhandlungen mit SPD und Linken aufzunehmen, prosteten sich Rolf Mützenich, Interimschef der SPD-Fraktion, Dietmar Bartsch von der Linken und Anton Hofreiter, Grüne, zu.

Und zwar erleichtert. Denn selbstverständlich war das Votum der Bremer Grünen nicht.

„Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht“, sagte die Grünen-Spitzenkandidatin Maike Schaefer. Die Fraktionsvorsitzende dankte ausdrücklich auch der CDU „für die vertrauensvollen und konstruktiven Sondierungen“. Sie hoffe, „dass wir daran in der kommenden Wahlperiode anknüpfen können“. Dort zeigte sich CDU-Spitzenkandidat Carsten Meyer-Heder vorerst traurig: „Ich bin auch enttäuscht, weil ich unsere Gespräche als sehr konstruktiv und vertrauensvoll erlebt habe.“

Tatsächlich hatten zehntägige Gespräche das Terrain sowohl für ein rot-rot-grünes Bündnis als auch für eines mit FDP und CDU geklärt: Bei der Landtagswahl am 26. Mai war die CDU mit 26,7 Prozent erstmals stärkste Kraft im kleinsten Bundesland geworden. Die SPD, die seit 73 Jahren den Bürgermeister stellt, landete mit Verlusten von fast 9 Prozentpunkten knapp dahinter. Die Grünen wurden mit 17,4 Prozent drittstärkste Kraft.

Zwar war die inhaltliche Nähe des Linksbündnisses unübersehbar, gerade zwischen Grünen und Linken: Beide Parteien wollen sowohl auf die Weser-Vertiefung als auch auf die Kohleverstromung verzichten. Mit der SPD gibt es vor allem große Einigkeit in der Bildungspolitik.

Zweifel gab es aber daran, ob es eine clevere Idee sei, dem Wahlverlierer SPD die Stange zu halten – und Carsten Sieling zu einer zweiten Amtszeit als Bürgermeister zu verhelfen, über den mittlerweile auch in der eigenen Partei debattiert wird. „Zu Personalfragen der SPD äußern wir uns nicht“, so Schaefer. „Das ist nicht unsere Bionade.“

„Personalfragen der SPD sind nicht unsere Bionade“

Maike Schaefer, Grüne

Ein weiteres Hemmnis: Aus der am Freitag endenden Legislaturperiode hatten SPD und Grüne erhebliche atmosphärische Störungen mitgenommen. „Es ist wie in einer Beziehung“, sagte Schaefer. „Man kann sich nach zwölf Jahren trennen – oder es erneut probieren.“ Bei den Sondierungen hatte man denn auch auf zwischenmenschliche Zeichen geachtet – so überreichten Schae­fer und Linken-Spitzenfrau Kristina Vogt vor den trilateralen Gesprächen einander Blumensträuße: Beide hatten Anfang Juni Geburtstag. Auf jeden Fall ändere sich etwas in der neuen Konstellation zu dritt. „Es ist Nachwuchs da“, so Schae­fer. Die Linkspartei hatte 11,3 Prozent bei der Bürgerschaftswahl erhalten.

Das Votum des Grünen-Vorstands sei einmütig gewesen, sagte Landesvorstandssprecherin Alexandra Werwath: fünf Ja-Stimmen, kein Nein, eine Enthaltung. Am Ende hätten die Inhalte den Ausschlag gegeben, hieß es. „Wir sind überzeugt, mit einem solchen Bündnis auch die sozialen Fragen des Landes mit neuem Schwung angehen zu können“, sagte Schaefer. „Wir sind in vielen Punkten bei den Sondierungsgesprächen bereits sehr weit gekommen.“ Auch die Schuldenbremse werde von der Linken mitgetragen. Die Parteibasen von Linken und Grünen wollten am Donnerstagabend über die Aufnahme von Koali­tions­verhandlungen entscheiden. Von Zustimmung wurde ausgegangen, auch weil die Grünen-Basis eher links tickt.

Der Bedeutung ihrer Entscheidung für die Bundespolitik sind sich die Grünen bewusst. „Ein solches Bündnis ist etwas Neues nicht nur für Bremen“, betonte Schaefer. Auch Linken-Fraktionschef Bartsch interpretiert Bremen als überregionales Signal. Zumal die Linke erstmals in einem westdeutschen Land mitregieren würde. FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg dagegen hielt Rot-Grün-Rot in Bremen für „schlecht“. „Für Deutschland wäre diese Konstellation umso verheerender.“

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