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„Keine Wüste, sondern Vakuum“

Konfrontiert mit heftigem sozialen und ökologischen Wandel: Der hannoversche Autor Juan S. Guse hat einen Roman über Miami in einer nahe gelegenen Zukunft geschrieben

Wie der Grund, so die Gesellschaft: ausgetrocknet und auf Sinnsuche Foto: Larry W. Smith/dpa

Interview Julika Kott

taz: Herr Guse, in Ihrem Roman „Miami Punk“ zeichnen Sie das dystopische Bild einer nahen Zukunft.

Juan S. Guse: Die Einordnung als „dystopischer Roman“ ist gängig, aber sie gefällt mir nicht. Es findet natürlich viel Kaputtheit statt, aber die wird konterkariert durch den Versuch, eine Normalität herzustellen. Wenn also die Koexistenz von Kaputtheit und Normalität Dystopie ist, dann müsste man den Dystopie-Begriff stark ausweiten, um ihn auf das Buch anzuwenden. Dadurch würde er seine Bedeutung und seine analytische Schärfe verlieren.

Der Zustand, den Sie beschreiben, ist aber nicht gerade utopisch.

Ja, durch dieses Naturereignis, diesen Rückzug des Meeres geht natürlich unglaublich viel in die Brüche. Auf sozio-ökologischer, kultureller sowie auf politischer Ebene. Es hätte mich aber nicht interessiert, ein düsteres Bild von Miami zu entwerfen.

Worum geht es überhaupt?

Vor der Küste von Miami hat sich das Meer über Nacht zurückgezogen und hinterlässt nicht nur eine Wüste, sondern auch einen Bedeutungsvakuum. Die Stadt muss sich auf einmal neu definieren und strukturieren. Auf der Suche nach den Ursachen des Phänomens stoßen staatliche Institutionen und militante Organisationen aus der Subkultur aufeinander.

Der Titel „Miami Punk“ verrät nicht viel über die Geschichte. Was ist Punk oder Cyberpunk in Miami?

„Miami Punk“ ist erst mal eine fiktionale Gruppe im Roman, eine militante, spirituelle Gruppe. Und es ist auch ein Wortspiel mit den Subkategorien der Science-Fiction. Der Titel verweist auf die Science-Fiction-Literatur, die mich sehr geprägt hat. Wie Cyberpunk eine Subkultur in der Literatur ist, ist die „Miami Punk“-Gruppe eine Subkultur in Miami.

Auch in Gabriel García Márquez „Der letzte Herbst des Patriarchen“ verschwindet plötzlich das Meer. Spielt solch ein Magischer Realismus auch bei Ihnen eine Rolle?

Ja, das sind wichtige Texte für mich. Der Magische Realismus schafft einen gewissen fiktionalen Abstand zur Wirklichkeit, eine Entfernung zur Realität. Die magisch-realistischen Elemente erschöpfen sich nicht im Historischen. Nur so kann der Roman große, abstrakte Fragen übermitteln und nicht auf einzelne Themen festgenagelt werden.

Auch Computerspiele haben eine zentrale Rolle.

Ganz genau. Zum einen „Counter Strike“, zum anderen ein neues Spiel, welches die Hauptfigur programmiert. Das bedient sich der persönlichen Informationen der SpielerInnen, um Figuren zu kreieren, und schreibt sich in deren Realität ein.

Die Grenzen zwischen dem Virtuellen und dem Realen zerfließen durchgehend.

Nicht zuletzt aufgrund der Biografie der Figuren. Das Virtuelle ist Teil von deren Leben und so auch des Romans. Man könnte sagen, das Fiktionale und das Reale sind von einander abhängig.

„Counter Strike“ kommt aus den 2000er-Jahren. Wird auch in der nicht allzu weit entfernten Zukunft, in der Sie die Handlung ansiedeln, nostalgisch auf die Vergangenheit geschaut?

Es kommt des Öfteren dieses nostalgische Element vor. Die übergeordnete Frage ist der Umgang mit Verlust und wie die verschiedenen Figuren den Umbruch handhaben. Manche reagieren nostalgisch, fast regressiv, andere gehen eher in eine Verweigerungshaltung. Das ist ganz unterschiedlich.

Sie sprechen dieser Tage in Hannover über die „Zukunft der Arbeit“. Welchen Stellenwert hat Arbeit in Ihrem Roman?

Einen hohen. Als Schlüsselkategorie der Moderne dient Arbeit sowohl zur Selbstdefinition des Individuums, als auch der Bewertung durch Andere. Durch den Meeresverlust ist nicht nur die Beach-Kultur verloren gegangen, sondern die Stadt hat große sozioökonomische Einbußen erlitten, zum Beispiel am Hafen. Trotz Veränderungen ist der Drang, zu arbeiten, weiterhin genauso symbolisch und normativ aufgeladen, sodass die ehemaligen Hafenbeschäftigten täglich arbeiten gehen – obwohl es keine Arbeit mehr gibt. Auf der anderen Seite findet eine Entfremdung vom Beruf statt.

Noch flexibler, noch prekärer: Sie beschreiben Arbeitsverhältnisse wie eine absurde Übersteigerung des Neoliberalismus. Steht in den gesellschaftlichen und ökologischen Umbrüchen nicht gar die Demokratie auf dem Spiel?

Im Falle der Teilhabe an Profit, auf jeden Fall. Soziale Ungleichheiten werden unglaublich verschärft. Darauf reagieren die Figuren auch unterschiedlich: Die HafenarbeiterInnen lassen sich passiv vom System schlucken, die spiritualistische Gruppe geht dagegen eher in die Offensive und will das System neu denken.

Hat die Gesellschaft den Klassenkonflikt überwunden?

Nein, hat sie nicht. Die ArbeiterInnen im Hafen rebellieren aufgrund hegemonialer Machtverhältnisse nicht. Der Konflikt ist da, aber Klassenbewusstsein hat sich nicht herausgebildet. So kommt es nicht zu einer Infragestellung der Klassenverhältnisse.

Foto: Daria Brabanski

Juan S. Guse, 30, studierte Literaturwissenschaften und Soziologie. Er promoviert derzeit in Hannover in Arbeits- und Organisationssoziologie. „Miami Punk“ ist sein zweiter Roman (S. Fischer 2019, 640 S., 26 Euro; E-Book, 22,99 Euro).

Was ist mit dem Geschlechterverhältnis?

Obwohl es viele starke FührerInnenfiguren gibt und auch jede Unterdrückungsform bekämpft wird, wird das Patriarchat nur bedingt problematisiert. Die Figuren sind zu sehr mit dem eigenen Alltag beschäftigt, um sich mit essentiellen Fragen politischer und ökonomischer Gerechtigkeit auseinanderzusetzen. Somit ist ein feministischer Umbruch eher in der kleinen Interaktion möglich und ersichtlich, jedoch nicht in der systematischen, politischen Auseinandersetzung.

Welche Rolle spielt an dieser Stelle die Entertainment-Industrie?

Sie dient zur Verblendung und Ablenkung von diesen essentiellen Themen. Zum Beispiel vermitteln Videospiele bestimmte Vorstellungen von Gerechtigkeit, die sich stark am meritokratischen, leistungsbasierten Ideal orientieren.

Verseuchtes Grundwasser, Todesschwadronen oder auch Triebtäterkolonien: Im Roman machen viele Verschwörungstheorien die Runde.

Eine Verschwörungstheorie schafft es, Sinn zu konstruieren, indem Bezüge hergestellt werden. Deshalb sind sie ein brauchbares Tool, um verlorengegangenen Sinn wieder aufzuarbeiten. Dieser wird dann allerdings instrumentalisiert: zur Durchsetzung einer politischen Agenda, zur Festigung von Macht. Von den Todesschwadronen, die sich als rechte Bürgerwehr in Szene setzen, oder von Abgeordneten im Kongress.

Sie promovieren derzeit in Soziologie. Wie verändert sich die heutige Arbeitswelt durch Digitalisierung und Virtualisierung?

Im Roman wird die Veränderung der Arbeitsstrukturen nur bedingt und punktuell zum Thema. Es ging mir nicht darum, einen Roman zu schreiben, der sich kategorisieren und auf ein bestimmtes Thema reduzieren lässt. Er handelt also nicht ausschließlich von Arbeit, Klimawandel oder Computerspiele.

Diskussion „Arbeit der Zukunft – Zukunft der Arbeit“ mit Juan S. Guse und Kerstin Jürgens, Soziologin: Mo, 27. 5., 19.30 Uhr, Hannover, Literaturhaus. www.literaturhaus-hannover.de/veranstaltung

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