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Kinetische Stadt

Peter Bialobrzeski stattet den Vorstädten von Mumbai, den flächenmäßig größten und am dichtesten besiedelten urbanen Räumen der Welt, in seinem Bildband „No Buddha in Suburbia“ einen Besuch ab

Peter ­Bialobrzeski, „No Buddha in Suburbia“ Foto: Aus dem besprochenen Band

Von Brigitte Werneburg

„Workout Like Zidane“ ist auf der großen Leuchtreklametafel zu lesen, die einen Slum überragt. Rätselhaft, warum das Z Wellness Gym ausgerechnet hier für seine Dienstleistung wirbt. Welcher der Menschen, die in den Wellblechhütten leben, könnte sich wohl ein Gym leisten? Oder eine Krankenversicherung? Selbst wenn sie dem Slogan „Health Sets You Free“ sicher zustimmten, der sich ebenso mächtig über den erbärmlichen Behausungen ­erhebt.

Peter Bialobrzeski entdeckte diese absurde, surreale Situation, die nun in seinem neuesten Bildband „No Buddha in Suburbia“ zu finden ist. Auf Einladung des Goethe-Instituts war Bialobrzeski nach seinem Erfolgsprojekt „Zweite Heimat“ – einer großen Bilderserie über Deutschland – nach Asien zurückgekehrt. Der aktuelle Bildband zeigt Aufnahmen aus den Vorstädten von Mumbai, die zu den flächenmäßig größten und am dichtesten besiedelten urbanen Räumen unserer Erde zählen. Die Aufnahmen, auf denen ein in unseren Augen unmögliches Zusammenspiel von Müll, Hausruinen, windschiefen Hütten, schicken Shopping Malls und brandneuen Luxuswohntürmen erkennbar ist, machen sofort klar, dass diese städtischen Konglomerate ganz anders funktionieren als alles zuvor gesehene. Rahul Mehrotra, Architekt in Mumbai und Professor für Stadtplanung und Städtebau an der Graduate School of Design in Harvard (die, wie wir jetzt im Bauhausjahr 2019 alle wissen, einst mehr oder weniger für Walter Gropius eingerichtet wurde), sucht dem in einem Essay auf die Spur zu kommen.

Mehrotra spricht von einem kinetischen Urbanismus, der hier zu beobachten sei. In ihm ist nicht mehr die statische Architektur repräsentativ für das städtische Leben, vielmehr bestimmen fluide Festivitäten wie Hochzeiten, Prozessionen, Festivals wie das hinduistische Lichterfest, das 10-tägige Dussera-Fest im Oktober und das damit verbundene Navratri-Fest, um nur einige zu nennen, das Bild.

Ihre Präsenz, so schreibt der Autor, „durchdringt und beherrscht die visuelle Populärkultur indischer Städte und Dörfer“. Peter Bialobrzeski fotografiert diese Umzüge nicht. Das wäre gefährlich nahe am Tourismusprospekt oder der National Geographic-Reportage. Sein Genre ist das Tagebuch, wie er sein Unterfangen, den städtischen Alltag im Bild festzuhalten, des Öfteren betitelt hat.

Unwahrscheinliche Stillleben der immer in Bewegung befindlichen Stadt

Die Stadt Mumbai mit ihren bestürzend deutlichen Mustern eines direkten Angrenzens von Arm und Reich, kommt ganz beiläufig ins Bild; gerne in der Abenddämmerung, vom künstlichen Licht der Werbung, des Wohnens und des Verkehrs erhellt. Das verleiht ihr ein gewisses romantisches Flair und macht deutlich, dass hier nichts zu verurteilen, sondern erst einmal alles nur zu studieren ist. Es geht dem Fotografen um genaue Beobachtung, nicht um Dramatisierung, Pathos, die schweren Zeichen.

Und dann sind die Aufnahmen doch so gebaut, dass man an einem Punkt aus der dokumentierten Szenerie herausfällt und das Bild sieht, die Komposition, die Formen und Farben, wie sie Bialobrzeski in sein fotografisches Tableau gerückt hat. Unwahrscheinliche Stillleben der immer in Bewegung befindlichen Stadt und ihrer Bewohner.

Peter Bialobrzeski: „No Buddha in Suburbia“. Hartmann Books, Stuttgart 2019, 168 Seiten, ca. 70 Abbildungen. Text von Rahul Mehrotra, Englisch/Deutsch, 34 Euro

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