Kunst und Klimawandel

Der litauische Pavillon gewinnt den Goldenen Löwen in Venedig

Zuerst war es ein Geheimtipp, der sich beim Fachpublikum der 58. Biennale verbreitete. Ende der Woche musste man den Weg nicht mehr suchen, sondern nur den Massen folgen, die es an den Militärhafen, zum litauischen Pavillon hinzog. Am Samstag erwiesen sich die Gerüchte als wahr: Der Länderbeitrag aus Litauen wird in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.

„Sun & Sea (Marina)“, so sein Titel, ist eine live aufgeführte Brecht-Oper, Gemein­schafts­­pro­jekt der Regisseurin Rugilė Barzdžiukaitė, der Autorin ­Vaiva Grainytė und der Musikerin Lina Lapelytė. Nach Anne Imhofs „Faust“(2017) gewinnt erneut eine Performance bei der Biennale, allerdings ist die Stimmung von „Sun & Sea (Marina)“ eine ganz andere. Genau wie die Perspektive: Vom ersten Stock einer Lagerhalle blickt man auf das Geschehen herab wie auf ein Tableau vivant. Menschen jeglicher Couleur fläzen sich an einem künstlichen Strand, dösen und singen. Ein Seniorenpaar macht sich Sorgen wegen Hautkrebs. Eine Frau beschwert sich mit schriller Stimme über Hundekot und Plastikmüll. Eine Mutter schwärmt von den Fernreisen ihres Kindes. Die Strand­besucher*innen singen von den kleinen und großen Dramen menschlichen Daseins, von wegen ­Vulkanausbrüchen gecancelten Flügen, zu warmen Weihnachten, veralgten Stränden und dem Artensterben.

In „Sun & Sea (Marina)“ dient das Meer als Sehnsuchtsort und Menetekel zugleich, es geht um nicht weniger als das Ende des Anthropozäns. Strand­besu­che­r*in­nen, die fraglos für jeden von uns stehen, schwelgen im süßen Nichtstun und haben längst resigniert. Wenngleich die Konkurrenz eher schwach besetzt war, der Goldene Löwe geht an die Richtigen. Litauens Performance präsentiert ökologische Probleme im sexy Badeanzug, transportiert den Klimawandel mit Charme und Leichtigkeit, was hervorragend aufgeht. Im Unterschied etwa zu dem deutschen Beitrag wirkt der litauische auch ohne Vor­ab­lektüre sofort nach, vielleicht weil die Songs im Ohr hängen bleiben.

Es gibt keinen besseren Ort als die Biennale von Venedig, um die schädlichen ökologischen Folgen des Tourismus zu benennen, erst recht vor der Kunstkarawane, die ohne Weiteres für ein paar Tage um die Welt jettet. Beate Scheder