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Können undein guter Look

Der Filmemacher Grant McPhee ist in zwei Dokumentationen dem Aufschwung der schottischen Indie-Pop-Szene in den Neunzigern nachgegangen

Von Andreas Hartmann

Kurt Cobain war nicht nur ein Rockidol, er war selbst auch ein leidenschaftlicher Musikfan, der seine Verehrung gerne kundtat. Eine seiner absoluten Lieblingsbands waren The Vaselines, ein obskures Duo aus dem schottischen Glasgow. Dessen zerbrechliche, intime Songs hatten es ihm dermaßen angetan, dass er gleich ein paar davon mit Nirvana coverte. Cobain wurde zudem gelegentlich mit einem T-Shirt gesehen, auf dem stand: BMX Bandits (siehe Konzerttip Seite 3). Auch das war der Name einer Glasgower Band, die kaum jemand kannte.

Dank Cobain wollte man nun auch außerhalb verschworener Indie-Pop-Kreise wissen: Was hat es mit diesen schottischen Bands auf sich? Warum treffen gerade sie den Nerv eines hypersensiblen Slackers aus Seattle, der mit seinem Weltruhm hadert? Die schottische Indie-Pop-Szene bekam in den Neunzigern einen gewaltigen Aufmerksamkeitsschub. Der veränderte sie, brachte Geld und Erfolg. Und schottischer Indie-Pop wurde endgültig zu dem Mythos, dem der Filmemacher Grant McPhee in gleich zwei Dokumentationen nachgegangen ist, die als Double-Feature unter dem Titel „Tartan Tunes – Scottish Postpunk“ im Lichtblick-Kino gezeigt werden. Der große Ausverkauf, damit lässt McPhee seine beiden Filme enden, fand jedoch trotz des Hypes nicht statt. Freundschaften und eine bestimmte, unkommerzielle Haltung als Markenkern der schottischen Szene hätten sie davor bewahrt. Wäre Kurt Cobain in Glasgow groß geworden statt in Seattle, dieser Gedanke kommt einem am Schluss der Dokumentationen, vielleicht würde er dann noch leben.

„Big Gold Dream“ von 2015 beleuchtet die goldene Zeit des schottischen Indie-Pop in den Achtzigern. Punk explodierte in London, das war der Urknall, Post-Punk jedoch oder das, was bald als New Wave firmierte, hatte andere Zentren. Manchester etwa, vor allem mit Joy Division. Und Edinburgh, wo das kleine Indie-Label Fast Forward ansässig war. Bahnbrechende Bands wie The Mekons, The Human League oder The Gang Of Four veröffentlichten hier ihre ersten Singles. Und bald ging es auch in Glasgow ab. Josef K und Orange Juice hießen dort die interessantesten Bands, die ihre ersten Singles beim sagenumwobenen Postcard-Label herausbrachten. Die Wut des Punk spielte keine Rolle mehr. Stattdessen intellektuelle Belesenheit, musikalisches Können und ein guter Look – man trug lieber perfekt sitzende Anzüge als von Sicherheitsnadeln zusammengehaltenen Müll. Und man interessierte sich für Soul und sogar Disco – vor allem Letzteres war dem guten, alten Punk ja ein echtes Grauen.

„Rip It Up And Start Again“ nannte der amerikanische Musikjournalist Simon Reynolds sein Standardwerk über Postpunk. Reynolds, der auch in der Doku „Big Gold Dream“ interviewt wird, verwendete seinen Buchtitel mit Bedacht. Punk war nicht nur das Ende von etwas, sondern für die zig Bands, die sich auf ihn beriefen, vor allem der Beginn von etwas Neuem. Und natürlich ist „Rip It Up And Start Again“ vor allem einer der wunderbaren Songs von The Orange Juice.

„Teenage Superstars“, die Dokumentation, die Mc Phee zwei Jahre nach „Big Gold Dream“ drehte, knüpft mehr oder weniger direkt an die Postpunk-Jahre in Schottland an. Fast Forward und Postcard, die beiden Labels, die alles ins Rollen brachten, gibt es längst nicht mehr. Neue Player und neue Bands aus Schottland wollen ab Mitte der Achtziger die Welt verändern. Jetzt aber von London aus, wo der Impressario Alan McGee sein Label Creation gründet. McGee ist Schotte und ein paar seiner heißestes Eisen kommen aus Schottland, etwa The Jesus & The Mary Chain und Primal Scream, die beide bald riesig werden.

McPhee hätte noch endlos weitere Erfolgsgeschichten schottischer Bands nacherzählen können – Namen wie Belle & Sebastian oder Franz Ferdinand tauchen nicht einmal auf – aber dankenswerterweise geht es in seinen beiden Filmen ja um etwas anderes als bloß um Aufstieg und Niedergang irgendwelcher Bands. Ihn interessieren die Strukturen einer schottischen Musikszene und was diese so besonders macht. Deren Indie- und DIY-Ethos faszinierte ja nicht nur Kurt Cobain, sondern ist von ­anhaltendem Interesse. Eine eben erschienene 5-CD-Box, die sich nach Grant McPhees Film ebenfalls „Big Gold Dream“ nennt, geht der schottischen Szene noch einmal bis in die letzten ­Verästelungen nach. Und das Hamburger Label Marina, das sich in den letzten 25 Jahren vor allem mit Veröffentlichungen schottischer Bands verdient gemacht hatte, macht nun zwar den Laden dicht, hat zum ­Abschied aber noch einmal eine Platte der Pearlfishers herausgebracht. Also von einer dieser Bands, von der sie nicht nur bei Marina glauben, dass es sie so nur in Schottland geben kann.

Nicht zuletzt ist es ja auch der Sound der schottischen Bands, der sie so einzigartig macht. Egal, ob bei den Pearl­fishers oder bei The Jesus & The Mary Chain: Immer steht die ­Sensibilität für guten Pop im Vordergrund. Dabei wird ­weniger auf die ­Beatles geblickt, wie das bei englischen Bands üblich ist, sondern ­Richtung USA. Auf den kalifornischen ­Jangle-Pop der Byrds, auf die zerrütteten Melodien der Velvet Underground. Auch diese Zuneigung der schottischen Indie-Bands zu amerikanischer Popmusik mag Kurt Cobain dazu gebracht haben, sie einfach zu erwidern.

Tartan Tunes – Scottish Postpunk“: Lichtblick-Kino, 25. 5., 19.30 Uhr, BMX Bandits, 24. 5. 20 Uhr, Tennis Café

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