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„Es ist wichtig, dass wir in Bremen weiterhin zusammenhalten“

Carsten Sieling, seit vier Jahren Bürgermeister von Bremen, erklärt, warum die SPD die Partei ist, die Bremen am besten regieren kann, und warum er Wahlkampf mit Plakaten von Henning Scherf und dessen Frau macht

Interview Benno Schirrmeister

taz: Herr Sieling, warum ist es wichtig, die Bremer Stadtteile Gröpelingen und Tenever nicht weiter zu stigmatisieren?

Carsten Sieling: In diesen Stadtteilen wird sehr viel Leistung erbracht, von Menschen, die dort leben: Gerade bei der Integration leisten diese Quartiere immer wieder Herausragendes. Das ist von unschätzbarem Wert für Bremen. Es muss mal Schluss sein damit, dass immer mit dem Finger auf die Menschen gezeigt wird, die dort leben.

Sie hatten, zu Beginn des Wahlkampfs, auf die Frage nach Bremens Problemstadtteilen statt der üblichen Verdächtigen die Villenviertel Schwachhausen und Oberneuland benannt. Gibt es überhaupt Problemstadtteile?

Die Frage kann man sich stellen. Denn wie in jeder Stadt auf der Welt gibt es auch bei uns Quartiere mit unterschiedlichen Herausforderungen und Stärken. Überall haben wir die Aufgabe, nach vorne zu kommen.

Also hat Bremen Probleme?

Unsere Stadt zeichnet sich vor allem durch einen starken sozialen Zusammenhalt aus. Da ist Bremen wirklich ein Phänomen – dass wir hier zusammenhalten, auch wenn die kalten statistischen Zahlen etwas anderes erwarten ließen. Mein Ziel ist es daher, diesen Zusammenhalt zu bewahren und zu stärken.

Aber warum machen Sie dafür ausgerechnet mit Henning-Scherf-Plakaten Werbung?

Es war uns wichtig, einen Konter zu setzen auf die lächerliche Parole der Opposition, dass 73 Jahre SPD-Bürgermeister genug wären. Bei der Überlegung, wer das gut dokumentieren kann, ist die Wahl auf das Ehepaar Scherf gefallen, das Kontinuität zum Ausdruck bringt, den so wichtigen Zusammenhalt und dass die SPD-Regierung Bremen gutgetan hat.

Auf mich wirkt das echt verzweifelt: Hatten nicht Sie zusammen mit Jens Böhrnsen für Scherfs Abgang gesorgt?

Die Entscheidung, seine aktive politische Laufbahn zu beenden, hat Henning Scherf selbst getroffen.

In Erinnerung bleibt Scherfs Amtszeit als Phase großer Investitionen in Ulk-Projekte wie den gefloppten Spacepark, gepaart mit einem beispiellosen Lehrerstellen- und einem Sozialabbau, dessen bekanntestes Opfer Kevin heißt, das Kind, das tot im Kühlschrank gefunden wurde. Dieser Mann hat die Stadt mit einer Fake-Finanzierungszusage von Gerhard Schröder regiert, dem Kanzlerbriefschwindel, das ist Politik wie von Donald Trump …

Was für ein Unfug, eine Nummer kleiner haben Sie es nicht? Henning Scherf war ein erfolgreicher und beliebter Bürgermeister und hat in seiner langen politischen Karriere viele gute Dinge für Bremen auf den Weg gebracht hat. Mir würde zum Beispiel einfallen, dass er sich konsequent gegen den großen Lauschangriff engagiert hat.

Und für den Brechmitteleinsatz!

Henning Scherf ist jemand, der für die SPD und, mit seiner Frau Luise, auch privat für Zusammenhalt steht. Darum geht es in diesem Plakat, und ich war froh, als die zwei mir zugesagt haben. Denn es ist wichtig, dafür zu sorgen, dass wir in Bremen weiterhin zusammenhalten und nicht auseinander laufen, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.

Allerdings geht die Schere zwischen Arm und Reich ungebremst auseinander: Wie soll es gelingen, den Zusammenhalt trotzdem zu stabilisieren?

Wir müssen in einigen Bereichen besondere Anstrengungen unternehmen. Außerdem müssen sich die Rahmenbedingungen des Bundes ändern. Wir haben uns bewusst entschieden, bei der Ausstattung von Kindergärten und Schulen für personelle Verstärkung vor allem dort zu sorgen, wo die Ungleichheit besonders ausgeprägt ist. Da wollen wir auch ungleich stärker fördern und unterstützen.

Mit Zulagen an den Einrichtungen in Brennpunkt-Gebieten?

Wir fangen mit der Erhöhung der ErzieherInnen-Gehältern dort an, wo besondere Herausforderungen bestehen, wo die Arbeit mit den Eltern sowie Sprach- und interkulturelle Kompetenzen besonders wichtig und nötig sind.

Ausbildung gilt als ein Schlüssel zur Armutsbekämpfung, und da wurde versucht, den sozialen Zusammenhalt in einen Pakt mit der Wirtschaft umzumünzen: Den gibt’s seit 2013, eine Ausbildungsplatzgarantie ist verkündet – aber nicht eingehalten. Und die Wirtschaft tut nix …

Nichts würde ich nicht sagen. Aber sie könnten mehr tun.

Sie baut Ausbildungsplätze ab, statt neue zu schaffen.

Die Zahl der Ausbildungsplätze muss dringend steigen. Noch zu wenige Unternehmen haben realisiert, dass die betriebliche Ausbildung junger Menschen eine große Chance auch für das Unternehmen selbst und die eigene Zukunftssicherung ist.

Carsten Sieling, 60, SPD, ist seit 2015 Bürgermeister von Bremen; davor war er einige Jahre Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Bremen I.

Grüne und Linke fordern, Unternehmen, die nicht ausbilden, an der finanziellen Last, die das bedeutet, zu beteiligen. Sie wollen das nicht?

Diese Diskussion um Ausbildungsplatzumlagen muss es geben, wenn sich die Lage nicht ändert. Das steht auch bei uns im SPD-Wahlprogramm: Wenn die freiwilligen Aktivitäten nicht fruchten, müssen wir da ran, weil wir eine Verantwortung haben – eine soziale, für die jungen Leute, aber auch eine dafür, dass die Firmen weiter Fachkräfte bekommen.

Wann ist der Zeitpunkt zum Handeln da?

Das Bremer Ausbildungsbündnis ist von allen Partnern bis Herbst dieses Jahres verlängert worden. Dann werden wir Bilanz ziehen und überprüfen, wozu die verabredeten Maßnahmen von Wirtschaft und Handwerk geführt haben. Darauf wird dann zu reagieren sein.

Um beim Blick in die Zukunft zu bleiben: Gibt es eine Vision fürs Land?

Natürlich gibt es eine Vision für Bremen: Wir haben eine gute wirtschaftliche Entwicklung, haben dadurch eine große Zahl Arbeitsplätze gewonnen. Das müssen wir ausbauen. Bemerkenswert ist dabei, dass dieses Wachstum zum Großteil im Dienstleistungsbereich stattfindet: Hier zeichnet sich ein Strukturwandel ab, der für uns nur bedeuten kann, weiter die Universitäten und Hochschulen zu stärken und die Wissenschaftslandschaft auszubauen. Wir wollen mehr Studienplätze schaffen und müssen uns anstrengen, dass die Menschen auch in Bremen bezahlbaren Wohnraum finden.

Bloß, wieso sollten die WählerInnen der SPD zutrauen, das hinzukriegen?

Die SPD hat in den letzten Jahren eine Menge für Bremen bewegt. Wir haben gemeinsam mit den Grünen die Finanzen des Landes in Ordnung gebracht und den Strukturwandel so hingekriegt, dass Bremen schon länger in der Spitzengruppe der wirtschaftsstarken Länder steht. Wir haben Bayern und alle anderen süddeutschen Bundesländer beim Wirtschaftswachstum schon zum zweiten Mal hinter uns gelassen. Und das nicht obwohl, sondern weil wir seit meinem Amtsantritt 2015 den sozialen Arbeitsmarkt stark machen. Wir haben im Rahmen von Landesprogrammen 800 Menschen eine neue berufliche Chance gegeben und ich will das auf 1.500 ausweiten – und Bremens große, alte, schwere Last der Langzeitarbeitslosigkeit bekämpfen.

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