piwik no script img

Rick und der Geburtstag des Opas

Maik liest aus seinem Kiffertagebuch vor, Rick erzählt von seinen Coming-outs. Samstags um 20.15 Uhr gibt es „transphilosophisch“

Von Daniel Klaus

Maik Gerecke und Rick Palm haben vor einigen Wochen einen neuen Podcast in die Welt gesetzt. Er trägt den etwas sperrigen Titel „transphilosophisch“, aber davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Er ist eine Mischung aus der Amazon-Serie „Transparent“ und dem Film „Clerks“ aus den neunziger Jahren und wird in Ricks Weddinger Wohnung aufgenommen.

Es geht um Sex und Nahrung, um Plüschschweine, Drogen, Arbeit, Gott und das Internet. Es geht um alles. Rick ist transident und seine Testosteronmedikation und was diese langsame Verschiebung von Frau zu Mann mit seinem Körper und seinen Gefühlen macht, ist dabei der rote Faden und gleichzeitig der unausgesprochene Cliffhanger am Ende jeder Folge. Was wird in einer Woche anders sein? Seine Stimme? Die Struktur der Schambehaarung? Wann fühlt sich sein Körper nicht mehr wie ein Hotel an, das er verlassen möchte, sondern wie ein Zuhause?

Das könnte schwere Kost sein, ist es aber nicht. Die beiden Podcaster sind auf eine intelligente Art äußerst unterhaltsam. Wenn sie in Folge #4 über Begrüßungsformen und Abschiedsrituale philosophieren und was sie daran hassen und lieben, dann finde ich mich auch in den Seitenarmen ihrer Gedankengänge wieder.

Und dann greifen sie einem unerwartet ans Herz, etwa wenn Rick in Folge #2 erzählt, wie er eines von vielen Outings auf der Geburtstagsfeier seines Opas hat. Die ersten Gäste, Nachbarn, sind gerade gegangen und die nächsten werden gleich kommen. Rick hat ein Zeitfenster von zehn Minuten, in denen die Familie allein beisammensitzt. Diese zehn Minuten müssen reichen. Wenn es in die Hose geht, muss die Familie zumindest nicht schweigend aneinander vorbeistarren, sondern wird von den kommenden Gästen erlöst. Rick steht auf und räuspert sich. „Hier ist meine Geburtstagskarte für dich, Opa. Unterschrieben ist sie mit Rick. Das ist mein neuer Name. Und mein neues Pronomen auch – er.“ Einen kurzen Moment ist es still.

Dann klatschen alle. Die Gläser werden erhoben, und es wird auf Rick und den Geburtstag des Opas angestoßen. Damit ist alles gesagt, was gesagt werden muss. Der Tag ist ein ganzes Stück heller geworden und die Feier kann weitergehen. Die Folge #666 hat zwar anders gelagerte, aber ebenso großartige Momente zu bieten. Dort mutiert Maik in Minute 31:59 zu Aldous Huxley und führt die Hörer durch „Die Pforten der Wahrnehmung“. Maik liest aus seinem Kiffertagebuch vor. Nicht nur irgendetwas, er geht aufs Ganze und greift nach den Sternen. Er legt eine von Schopenhauer inspirierte Definition von Gott vor, die auch dem Dude aus „The Big Lebowski“ gefallen hätte.

Immer samstags um 20.15 Uhrgibt es eine neue Folge. Diese wöchentliche Taktung ist sportlich. Aber den beiden scheint nicht die Luft auszugehen. Sie geben in jeder Folge alles, im Vertrauen darauf, dass in einer Woche der Brunnen, aus dem sie schöpfen, wieder voll genug ist. Sie lassen sich dabei auch nicht von äußeren Widrigkeiten abhalten. Bohrmaschinenlärm zum Beispiel. Dann packen sie ihr Equipment zusammen, ziehen in ein Café um und nehmen dort die nächste Folge auf.

Noch ist ihr Podcast ein Geheimtipp, weil sie nur in Mikrodosen die Werbetrommel rühren. Es gibt einen Instagram- und einen Twitter-Account und ein wenig analoge Mund-zu-Mund-Propaganda. Aber das ist es auch schon. Eigentlich kümmern sie sich einen Scheißdreck darum. Ebenso egal ist ihnen, dass sie nicht in marktgängigen zwanzig Minuten erzählen. Warum auch, wenn der Atem lang genug ist und für eine Stunde reicht? Wenn sie so weitermachen, spielt das alles sowieso keine Rolle, die Zugriffszahlen werden ganz von allein explodieren.

„transphilosophisch“, zu hören auf Soundcloud, Spotify, itunes und castbox.fm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen