piwik no script img

Jasmin RamadanEinfach gesagtKonventionsbefreite Zone

Foto: Roberta Sant'anna

Was ist das nur für eine Welt geworden? Niemand denkt mehr an die anderen und niemand ist mehr glücklich!“

Die ältere Dame im karierten Blazer hat sich auf den Platz direkt hinter den Busfahrer gesetzt. Niemand reagiert auf ihren Weltschmerz und sie fügt hinzu:

„Da, diese Radfahrerin, was fährt die so lahm vor uns her, abgebrüht ist das! Uns allen die Zeit zu stehlen.“

Im Bus zwischen dreizehn und fünfzehn Uhr teilt man sich mit. Internetfern. Es geht um Sichtkontakt, den Klang der eigenen Stimme und das Aufeinanderprallen mit anderen Individuen. Aktiv sind vor allem ältere Damen, die ihre Männer überlebt haben. Im Bus stellt man sich nicht erst vor, das Innere des Busses ist eine konventionsbefreite Zone:

„Da weiß man ja gar nicht, was man anziehen soll, entweder man kommt ins Schwitzen oder erfriert halb. Ich hab heut Nacht auch wieder die Heizungen angestellt. Mai hin oder her.“ Ich stimme meist freundlich zu und ergänze irgendwas. Einige aber wollen mehr als harmloses Geplauder:

„Sahra Wagenknecht hat jetzt endlich einen Burn-out, dann sind wir die hoffentlich bald los, die ist ja auch halbiranisch, da wundert man sich über gar nichts.“

Gesprächslustige Rentnerinnen übersehen meinen biologischen Migrationshintergrund oft. Ihre Sehleistung ist ebenso reduziert wie das natürliche Einhalten von Grenzen. Aber nicht nur die Einsamen haben etwas zu verkünden, sondern erst recht die, die nie allein sind:

„Ich hasse alle Albaner und ich darf das sagen, ich bin selbst Albanerin!“

Die Mutter von drei Kindern dröhnt ihre große blonde Freundin mit autorassistischen Thesen zu. Die Freundin sagt:

„Meinst du alle männlichen Albaner?“

„Nee, ich mein auch meine Schwiegermutter und so einige Weiber! Das sind alles Egoschweine!“ Ein Kind fängt an zu schreien und die ältere Dame, die eben Kevin Kühnerts Homosexualität mit seiner Kapitalismuskritik in einen wirren Kontext gebracht hat, von dem mir schwindelig ist, sagt:

„Ihr Kind muss hier bitte wirklich nicht rumschreien, das kann ja keiner ertragen.“

Die Albanerin schreit: „Was hast du gesagt, Omi?!! Bist du Kinderhasserin oder was?!“

Die Omi sagt sehr leise: „Ich hab nur gesagt, dass Sie ihr Kind in den Griff kriegen müssen.“

„Kinder kann man nicht in den Griff kriegen und bestimmt warst du selber voll das laute Kind.“

„Im Gegenteil!“, erwidert sie streng.

„Bestimmt konntest du keine Kinder kriegen, deshalb bist du voll aggressiv auf alle Kinder!“

Die Dame schüttelt den Kopf und starrt aus dem Fenster.

Die Albanerin wendet sich an ihr Kind: „Los, schrei noch lauter, brüll mal so richtig, das machst du doch sonst auch immer, brüll mal, du bist ein Kind, jetzt darfst du das noch, später darf man gar nichts mehr und muss immer die Fresse halten!“

Alle im Bus haben jetzt Angst vor der Frau und ihre Freundin sagt:

„Jetzt lass mal gut sein.“

„Nee, ey, wie kann man Kinder hassen?! Und wie unglücklich muss man auf der Welt sein, um immer alles rauszuhauen, was man in seinem Scheißkopf hat.“

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen