heute in hamburg: „Europa ist selbst ein Brandstifter“
Vortrag „Die europäische Flüchtlingspolitik und ihre Auswirkungen“: 19 Uhr, Centro Sociale, Sternstraße 2, Eintritt frei
taz: Herr Bernau, sollten wir am 26. Mai zur Europawahl gehen?
Olaf Bernau: Ja, auf jeden Fall. Wenn wir das nicht tun, spielen wir denen in die Karten, die eine Festung Europa wollen. Die Wahl ist für mich ein Muss, auch wenn die EU teilweise ein uneingelöstes Versprechen ist.
Was meinen Sie damit?
In mancher Hinsicht hat Europa sein Versprechen eingelöst. Zumindest in Westeuropa gab es über 70 Jahre keinen Krieg mehr. Anders ist das beispielsweise in Sachen Menschenrechte. Es gibt immer noch systematische Menschenrechtsverletzungen gegen Geflüchtete und Migrant*innen, sowohl innerhalb der EU als auch an den Außengrenzen. Wenn beispielsweise Europa libysche Milizen für sich die Abschreckungsarbeit machen lässt, ist das für mich ein uneingelöstes Versprechen. Menschenrechte dürfen nicht nur für Menschen gelten, die schon hier leben, sondern auch für solche, die gerade erst kommen.
Wie sehen Sie Bewegungen wie die Seebrücke?
Alles, was es hier an Kritik und Gegenöffentlichkeit gibt, ist natürlich unglaublich wichtig, es reicht allerdings nicht aus. Es sollte auch maßgeblich darum gehen, mit den sozialen Bewegungen in den Transit- und Herkunftsländern von Geflüchteten zusammenzuarbeiten. Es ist wichtig, dass auch in den Herkunftsländern Druck auf die Regierungen gemacht wird, damit diese nicht mehr mit der EU kollaborieren.
Wie sieht es bei der Bekämpfung von Fluchtursachen aus?
Alles, was es an sogenannter Fluchtursachenbekämpfung aktuell gibt, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wenn es wirklich darum gehen würde, Fluchtursachen nachhaltig zu bekämpfen, dann müsste Europa einerseits deutlich mehr Geld in die Hand nehmen und andererseits seine Politik maßgeblich transformieren. Europa spielt sich häufig als Feuerwehr auf, ist mit seiner Handels-, Agrar- oder Rohstoffbeschaffungspolitik allerdings selbst Brandstifter.
Olaf Bernau, 49, Soziologe, aktiv bei Afrique-Europe-Interact und Mitarbeiter der gewerkschaftlichen Antidiskriminierungsstelle.
Was glauben Sie, warum das für so wenig Aufregung sorgt?
Am Ende geht es um globale Verteilungsgerechtigkeit: Werden die eigenen Privilegien verteidigt, wie es derzeit bei der CO2-Steuer deutlich wird, oder werden Menschenrechte als etwas Unteilbares betrachtet?
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