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Aus Katastrophen gelernt

In Ostindien wurden 1,2 Millionen Menschen vor einem Wirbelsturm erfolgreich in Sicherheit gebracht

Aus Mumbai Natalie Mayroth

„Ein Zyklon kommt. Geh zu den Unterkünften“: 2,6 Millionen solcher Kurzmitteilungen haben Indiens Behörden in der lokalen Sprache versendet, um alle Menschen im Gefahrengebiet rechtzeitig zu evakuieren. Wiederholt wurde die Meldung von über 40.000 Freiwilligen, fast 1.000 Rettungskräften, im TV, über Küstensirenen, in Bussen und von Polizisten. Denn am Freitagmorgen traf der Wirbelsturm „Fani“ auf Indiens Ostküste: In Andhra Pradesh, Odisha und West-Bengalen wütete er mit bis zu 200 Stundenkilometern.

In 24 Stunden gelang es den Behörden, 1,2 Millionen Menschen in Notunterkünfte zu bringen. Es war eine der größten Evakuierungsaktionen der Menschheit. Odishas Regierungschef Naveen Patnaik sagte, einen Tag zuvor sei man sich noch nicht sicher gewesen, welchen Weg der Zyklon einschlagen werde. Doch man habe sich entschlossen, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Flüge wurden gestrichen, der Zugverkehr eingestellt.

Zwar ist die Zahl der Toten in Odisha inzwischen auf mindestens 33 gestiegen. Doch es zeigt sich, aus der schweren Katas­trophe von 1999 wurde gelernt. Damals kosteten die Folgen eines Zyklons mit Windstärken von bis zu 260 Kilometern pro Stunde mehr als 10.000 Menschen das Leben. Seitdem hat sich der Staat intensiv damit beschäftigt, die Infrastruktur sowie das Katastrophenmanagement zu verbessern. So wurden Notunterkünfte entlang der Küste errichtet.

UN-Sprecher Denis McClean würdigte die Leistung noch am Freitag. Mami Mizutori von der UN-Katastrophenvorsorge ­(UNDRR) lobte die effektive Evakuierung, die viele gerettet habe. Dabei halfen nicht nur Sicherheitsmaßnahmen und Sensibilisierungskampagnen, sondern auch präzisere Wettervorhersagen.

Die Aufräumarbeiten haben begonnen. Die ersten Familien sind in der Nähe von Bhubaneswar zu den Überresten ihrer Häuser zurückgekehrt. Züge sollen ab Freitag die Stadt Puri, die schwer getroffen wurde, wieder anfahren. Doch Überschwemmungen haben zu erheblichen Schäden geführt, und das in einem der ärmsten Bundesstaaten Indiens. Stromleitungen wurden beschädigt, Bäume entwurzelt und Dächer weggetragen. Die humanitäre Hilfsorganisation Seeds schätzt, dass 137 Millionen Menschen betroffen seien.

Vor allem in den heißen Sommer- und Herbstmonaten sind tropische Wirbelstürme am Golf von Bengalen keine Seltenheit. Das mag auch ein Grund dafür sein, dass S. N. Pradhan, Direktor des indischen ­Katastrophenschutzes, dafür plädiert, die ergriffenen Vorsichtsmaßnahmen fortzusetzen. Am Freitagabend zog der Sturm über die Stadt Kalkutta weiter Richtung Bangladesch. Abgeschwächt erreichte er das Nachbarland, wo mindestens 12 Menschen starben, aber eine Million Menschen auf ähnliche Weise in Sicherheit gebracht wurden.

„Fani“ war einer der stärksten Wirbelstürme seit 20 Jahren. Doch zeigt die Katastrophe, dass Frühwarnung effektiv sein kann – selbst in Ländern mit weniger Ressourcen wie Indien oder Bangladesch.

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