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Aneignen, enteignen, umcodieren

Die Ausstellung „Straying from the Line“ im Schinkel Pavillon versammelt feministische Kunst der letzten hundert Jahre

Von Tom Mustroph

Milch ist ein in der Kunst eher weniger gebräuchliches Material. In „Straying from the Line“, einer Gruppenausstellung mit 53 Arbeiten im Schinkel Pavillon und der darunter gelegenen Schinkel Klause, taucht Milch indessen gleich mehrfach auf. Im Video „Lesson LXXV“ tropft der afroamerikanischen Künstlerin Martine Syms eine milchähnliche Flüssigkeit vom Gesicht. Sie färbt ihr Antlitz weiß. Syms spielt auf diese Art mit den Wahrnehmungsmustern und Diskriminierungspraktiken, die durch das Merkmal Hautfarbe ausgelöst werden. Sie benutzt zudem eine stark mit Weiblichkeit konnotierte Sub­stanz. Milch verbindet weibliche Wesen, aber nicht alle von ihnen sind Teil der weißen Matrix, besagt diese „Lesson“.

Als Erinnerungs- und Schöpfungssubstanz, allerdings mit industrieller und mechanisierter Note, ist Milch in den Arbeiten von Marianna Simnett und Raphaela Vogel vertreten. Die Videokünstlerin Vogel stellt ihre eigene Geburt als fröhliches Rutschen durch ein Spaßbad nach. Die Projektion dieser „Uterus-Fahrt“ ist eingebettet in eine Installation von Melkmaschinen eines Bauernhofs. Einen solchen Milchbauernhof besucht auch Simnett in ihrer Recherche einer versunkenen Kindheit. Milch wird hier zum Trägermedium für Erinnerungen.

Überhaupt ist die Arbeit am und mit dem Körper sowie den vom Körper hergestellten Substanzen essenziell für zahlreiche Positionen dieser Ausstellung. Eine Vermessung des weiblichen Körpers unternimmt die peruanische Künstlerin Teresa Burga, die in einer Installation mit Schaufensterpuppe und Glasvitrine die Differenz zwischen der Körperform einer Schaufensterpuppe, dem idealisierten und kommerzialisierten Abbild einer Frau also, und den durchschnittlichen Körpermaßen einer peruanischen Frau sichtbar macht. Die Durchschnittsfrau ist nicht kongruent mit der Durchschnittspuppe.

Das Spannungsfeld von Frau als warenähnlichem Objekt (für die Augen der Männer) und Frau als Subjekt prägt auch die Arbeiten der britischen Künstlerin, Musikerin und früheren Sexarbeiterin Cosey Fanni Tutti. Sie ist mit einschlägigen Bildsequenzen aus Pornomagazinen in den 1970er und 1980er Jahren präsent. Ihr Anspruch war – damals durchaus angefeindet von Feministinnen prüderen Charakters – die Befreiung von Lust und Körper.

Die Arbeit am und mit dem Körper ist essentiell für zahlreiche Positionen hier

Die ein oder andere jüngere Arbeit, die das spannungsreiche Verhältnis von selbstbestimmter Lustproduktion und den Ausbeutungspraxen in der Sexindustrie stärker in den Blick nimmt und zudem die heterosexuelle Mann-Frau-Dichotomie durchbricht und um schwul-lesbische und Trans-Positionen ergänzt, hätte der von der Schinkel-Pavillon-Betreiberin Nina Pohl kuratierten Ausstellung allerdings gutgetan.

Verdienstvoll ist die Wiederentdeckung einiger der Vergessenheit anheimgefallener Künstlerinnen und Pionierinnen wie etwa Lee Lozano, Irma Hünerfauth und Betye Saar. Lozano fiel durch radikale Verweigerungspraktiken auf wie das „General Strike Piece“, mit dem sie sich von der New Yorker Kunstwelt verabschiedete, und dem 27 Jahre währenden „Decide to Boycott Women“, mit dem sie von 1971 bis kurz vor ihrem Tod 1999 den Kontakt zu allen Frauen in der – damals freilich noch sehr stark männlich besetzten – Kunstwelt abbrach. Hünerfauth ist mit einer ihrer eleganten kinetischen Installationen vertreten. Saar – bekannt geworden durch die Befreiung der Werbefigur Aunt Jemima, des weiblichen Gegenstücks zu Uncle Tom – brachte auf ein funkelndes Waschbrett das Bildnis gelynchter Sklaven auf.

Bekanntere Positionen in der Ausstellung kommen von Sturte­vant, Sarah Lucas und Anna Daučíková. Sturtevant ist mit ihrem Appropriation Piece „Lichtenstein Girl with Hair Ribbon“ vertreten; sie „enteignet“ ein Motiv des männlichen Pop-Art-Stars. In „Sausage Film“ zerteilt Lucas auf dem Teller phallische Objekte wie eine Banane und eine Wurst. Daučíková hingegen steckt in „The Thing“ einen Spiegel in den Schlitz von Boxershorts. Sie verstellt so den Blick auf das Geschlecht und spiegelt stattdessen die Umgebung zurück.

Die Ausstellung weist keine geradlinige Narration auf. Es werden Verbindungslinien gesucht und Assoziationen hergestellt. Die beiden oktogonalen Räume von Schinkel Pavillon und Schinkel Klause laden denn auch zum Herstellen von Bezügen ein. Andere Arbeiten sind eher versteckt in den Nebenräumen des Untergeschosses. Diese Heimlichkeit ist reizvoll, sie konterkariert allerdings auch das Anliegen, derartige Positionen ans Licht zu holen. „Straying from the Line“ offeriert einen sehr vielschichtigen und durchaus Zeit konsumierenden Parcours.

Aber wer will es schon einfach haben?

Der Schinkel Pavillon als versteckter Ort inmitten der aufgehübschten Mitte ist ohnehin stets einen Besuch wert.

Straying from the Line: Schinkel Pavillon, Oberwallstr. 1, bis 28. Juli, Do.–So. 12–18 Uhr

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