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Geniales Gebilde

Der BVB profitiert von der seltsamen Doppelrolle Matthias Sammers als Klubberater und TV-Kritiker

Aus DortmundDaniel Theweleit

Für Fernsehzuschauer ist es bedauerlich, dass dieses Topspiel nicht auf dem TV-Sender Eurosport übertragen wird. Denn Sammer breitet dort seine Gedanken anlässlich der Bundesligaübertragungen vor einem großen Publikum aus. Es gab etliche BVB-Spiele, in deren Rahmen Sammers Doppelrolle nicht nur merkwürdig erschien, sondern interessante Einblicke gewährte. Eigentlich besteht seine Aufgabe als BVB-Berater darin, in regelmäßigen Treffen mit Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, Sportdirektor Michael Zorc und Sebastian Kehl, dem Leiter der Lizenzspielerabteilung, kontrovers mitzudiskutieren. In diesem Kreis ist er explizit als unbequemer Kritiker gefragt und nimmt direkt Einfluss auf den inneren Zirkel der Klubführung. Es zeugt vom Mut der Verantwortlichen beim BVB, dass sie diesen Mann so nah an sich heranlassen, obgleich sie wissen, dass er einige Tage später wieder als undiplomatischer TV-Experte auftreten wird. Aber womöglich ist genau diese Konstellation ein Glücksfall.

Die Dortmunder Mannschaft sei „einfach unreif“, sagt Sammer beispielsweise nach der 1:2-Niederlage in Augsburg, ­gegen solche Abstiegskan­didaten verhalte sich Borussia Dortmund immer wieder „wie eine Durchschnittsmannschaft“. Wenn irgendwelche Offiziellen des FC Bayern derart lospoltern, werden automatisch Trainer beschädigt und Spieler gekränkt. Sammer kann kritisieren, wird von Favre und den Spielern gehört, ohne direkten persönlichen Kontakt und ohne die Stimmung im Klub zu kontaminieren.

Er wirkt als ausgleichendes Gegengewicht zu Lucien Favre, dessen Verlautbarungen sich strikt auf fachliche Aspekte seiner Arbeit beschränken. Als es im Februar nicht so gut läuft, erklärt Sammer im TV, es sei an der Zeit, „mal auf den Tisch zu hauen. Denn wenn du Großes erreichen willst und die Wahrheit nicht öffentlich benennst, wird es schwierig.“ Aber eigentlich übernimmt Sammer genau diesen Job längst selbst. Der BVB hat die Rolle des unbequemen Quertreibers ausgelagert. Womöglich handelt es sich um ein geniales Konstrukt, denn als Fachmann ist der ehemalige Weltklassespieler einzigartig. Er verfolgt keine Agenda mehr, hat kein anderes Interesse als das Spiel selbst.

Auf dem Sportbusinesskongress SpoBis legt er vor einigen Wochen eine komplexe Grundsatzanalyse zum Zustand des deutschen Fußballs vor. Sammer glaubt, in Deutschland würden die individuellen Fähigkeiten der Spieler zu stark in vermeintliche Gemeinschaftsinteressen hineingezwängt. An vielen Stellen der Klubs und Verbände fehle die fußballerische Kompetenz. Die Frankfurter Rundschau feiert Sammer danach als „Düsentrieb des deutschen Fußballs“.

Über seine Thesen lässt sich streiten, aber die Vergangenheit spricht für Sammer. In den vergangenen 25 Jahren war er an vielen internationalen Erfolgen des deutschen Fußballs beteiligt: als Spieler (Europameister 1996, Champions-League Sieger 1997), als Sportvorstand des FC Bayern (Champions-League-Sieg 2013) und DFB Sportdirektor (Europameistertitel U17, U19, U20, U21), der die Grundlagen für den WM-Titel 2014 schuf. Seine große Stärke sei aber die „Liebe zum Fußball“, sagt er, und die ist für jeden spürbar. Es würde passen, wenn Matthias Sammer nun auch zu einem erstaunlichen Titel des BVB beiträgt, auch wenn er selbst noch nicht so richtig daran glaubt.

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