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Erster Schritt zur Aufarbeitung: miteinander reden

Polizei, RWE-Angestellte, Anwohner und Aktivisten diskutieren den Konflikt am Hambacher Forst

Aus Bedburg Anett Selle

Gewalt sei die absolute Ausnahme und gehe nur von ganz wenigen aus. Müsse man also die ganze Zeit über sie reden? Offenbar. Und man tut es, im Rahmen einer Diskussion der evangelischen Kirche am Mittwochabend. Gekommen sind unter anderem Dirk Weinspach, der Aachener Polizeipräsident. Christian Mertens, ein Anwalt, der oft Aktivist*innen vertritt, und Klaus Emmerich, ein Betriebsrat bei RWE. Der kleine Saal ist voll mit RWE-Angestellten, Lokalpolitiker*innen, Anwohner*innen, Waldbewohner*innen. Das Thema offiziell: „Was macht ziviler Ungehorsam mit der Region?“ Aber darum geht es nur am Rande.

Tatsächlich redet man über die Gewalt, die man einander angetan hat. Über den Großeinsatz im Herbst als traumatische Erfahrung für alle Seiten. Man spricht über Deeskalation. Man sucht einen gemeinsamen Boden. Oder wenigstens einen Fleck. Waldbewohner*innen und Bürger*innen schildern Vorfälle, die sie als Polizeigewalt erlebt haben. Weinspach schildert Fäkalienbewurf. Emmerich spricht von Steinen und Molotowcocktails und verlorenem Augenlicht. Eine Bürgerin schildert Flaschenbewurf aus RWE-Autos in eine Menschenmenge, zerstochene Reifen, Beschuss mit Feuerwerkskörpern Richtung Aktivist*innen.

Alle haben ihre Geschichten, ihre Sicht: Der Abend entwickelt sich zu einer Aufarbeitung. Um weitermachen zu können, irgendwie. Und um einen zweiten Großeinsatz zu verhindern, den – da scheint Einigkeit zu bestehen – der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) nach wie vor anstrebe. Die Politik habe zugesichert, dass der Wald vorerst sicher sei, sagt Weinspach. Seine Lösung: Die Aktivist*innen sollten den Wald verlassen.

Aber Waldbewohner*innen und einige Bürger*innen widersprechen. „Was hier ganz gewaltig fehlt, ist Vertrauen“, sagt der Musiker Gerd Schinkel. Menschen müssten im Wald sein, um ihn zu schützen. Rund um die Uhr, bis die Politik eine endgültige Leitentscheidung liefere. „Ich denke, unsere Politiker tragen einen Teil der Schuld daran mit, dass die Situation eskaliert“, sagt ein Anwohner. „Wie reagieren sie auf 100 bis 150 junge Leute in Baumhäusern: Mit einem Einsatz von vielen Tausend Polizisten und meines Erachtens einer Rechtsbeugung, wo der Brandschutz vorgeschützt wird. Ich suche die Verhältnismäßigkeit und finde sie nicht.“ Lösungen seien ja eigentlich Aufgabe der Politik, sagt eine Anwohnerin: Aber die „eiert rum“ und wälze alles auf die Menschen vor Ort ab.

Am Ende des Abends sind viele Vorwürfe ausgesprochen. Waldbewohner*innen und RWE-Angestellte tauschen Telefonnummern aus, wollen einander besuchen. „Wir müssen miteinander reden“, sagt Betriebsrat Emmerich. Eine Lösung ist zwar noch nicht gefunden. Aber ein erster Schritt Richtung Aufarbeitung. Und es wird deutlich: Der Großeinsatz im Herbst hat mehr gekostet als einen zweitstelligen Millionenbetrag.

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