: Der Flügel der Möwe
Indiepop-Queen Masha Qrella hat ihre neue EP „Day after Day“ veröffentlicht, Vorbote des im Herbst erscheinenden sechsten Albums
Von Jens Uthoff
Wann genau eigentlich wird Masha Qrella das nächste große Ding des deutschen Pop? Das war eine Frage, die man sich in den knapp zwei Dekaden, die die Songwriterin nun bereits solo Musik macht, des Öfteren stellte. Dass es irgendwann so kommen würde, schien kaum zweifelhaft, schließlich wird die Berliner Indiepop-Queen seit Längerem mit Lob überschüttet: Feuilletonisten und Blogger sprechen in höchsten Tönen von ihr, Dirk von Lowtzow bekennt sich dazu, im heimischen Wohnzimmer zu ihren Songs zu tanzen, Kolleg_innen wie Gudrun Gut und Maurice Summen von Die Türen sind eh Fans.
Auf dem Label von ebenjenem Maurice Summen – Staatsakt heißt es – ist nun auch die neue EP Masha Qrellas erschienen, die eine Vorbotin ihres im Herbst erscheinenden sechsten Albums ist; es soll ihr erstes in deutscher Sprache werden. Eine feste Größe im hiesigen Indie-Sektor ist Qrella, 1975 als Mariana Kurella in Ost-Berlin geboren, schon sehr lange: In den Neunzigern spielte sie in den Bands Mina und Contriva, ehe sie 2002 ihr Solodebüt vorlegte. Seither steht sie für einen Sound, bei dem Songwriter-Ansätze á la Suzanne Vega und Ani Difranco mit tanzbaren Pop-Hooklines zusammenkommen.
Genau diese Qrella-Qualitäten erkennt man nun zunächst wieder: Im Titeltrack „Day After Day“, in das sie Textfragmente von Heiner Müller einwebt, klingen sowohl das todsichere Gespür für den catchy Refrain („Vielleicht werde ich alles überleben/ was ich geliebt hab und nicht geliebt“) als auch ihre kompositorischen Fähigkeiten an. Und dann ist da noch diese Stimmfarbe, meist sopran, die einen immer wieder kalt erwischt. Ans Singen auf Deutsch tastet sich Qrella langsam heran, in drei Tracks ist ein Deutsch-Englisch-Mischmasch zu hören, das selten zuvor (außer vielleicht bei Ja, Panik) so luftig und locker klang wie hier.
Noch viel mehr versteht man von der Kunst der Masha Qrella, hat man das abschließende, über 12 Minuten lange Stück „Arthur“ gehört. „Arthur“ ist eine Kurzgeschichte von Einar Schleef von 1981, in der der Ich-Erzähler – das Alter Ego des Regisseurs – eine Möwe mit einem gebrochenen Flügel mit zu sich nach Hause nimmt und sie dort gesund pflegt. Qrella macht daraus ein musikalisches Hörspiel. Sie liest und singt sich durch diese Geschichte, folgt Schleef und seiner Möwe durch den Berliner Winter. Dazu ertönen loungige, langsame Klänge, gegen Ende stoßen dezente Saxofontöne dazu, was dem Ganzen einen noch etwas jazzigeren Touch gibt.
Qrella erscheint da wie die perfekte Wiedergängerin dieser aus der Zeit gefallenen Erzählerstimme. Melancholisch und widerständig zugleich klingt sie nun, diese Stimme, die Eigenbrötlertum und Introvertiertheit verteidigt gegen Narzissmus und Selbstdarstellungssucht, Sinnlichkeit und Müßiggang gegen Selbstoptimierungs- und Kontrollwahn in Stellung bringt, Langsamkeit gegen den täglichen Timeline-Wahnsinn setzt. So wie der Erzähler sich alle Zeit der Welt nimmt, um die Möwe zu kurieren, nimmt Qrella sich alle Zeit der Welt, die Geschichte nachzuerzählen.
Dieser Song, der wie auch das Heiner-Müller-Stück als Auftragsarbeit für das HAU entstanden ist, steht somit pars pro toto für ihr Schaffen: Sie erzählt in ihren Songs von alltäglichen Begebenheiten, von der Liebe, vom Schmerz, vom Anderssein. Nie so depri, dass sie einen in den Abgrund risse, nie so kitschig, dass man es ihr nicht abnehmen würde. Ob sie damit das nächste große Ding wird? Zu gönnen wäre es nicht nur ihr, sondern auch den vielen, die dann ihre Musik öfter hören würden.
Masha Qrella: „Day After Day“ (Staatsakt/Caroline), Releasekonzert: 7. 4., Lido
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