Preis für Bremer Integrationsprojekt: Eine Stimme für Adnan und Nufay
Das Bremer Zentrum für Migranten und interkulturelle Studien wurde bundesweit für sein Projekt „Alt ist nicht gleich alt“ ausgezeichnet.
Mit „Alt ist nicht gleich alt“ fördert das ZIS die Integration älterer Migrant*innen durch Aktivitäten wie Malkurse, Nähgruppen, Theaterworkshops oder den Aufbau des „Virtuellen Museums der Migration“. Dort wird die Geschichte der Arbeitsmigration durch Videodokumentationen oder persönliche Dinge erzählt, die die Menschen aus ihrer Heimat mitbrachten – so wie den Reisekoffer von Hayriye Tekek, mit dem er von Istanbul-Sirkeci nach München reiste oder den Maşallah-Anhänger von Ahmet Terkivatan. „Maşallah“ ist Arabisch und bedeutet „Gott beschütze dich“.
Das Herzstück des Museums sind 50 Biografien von Arbeitsmigrant*innen, je zur Hälfte von Männern und Frauen. Der Biologe Volkan Eliş begann vor vier Jahren mit der Biografieforschung. „Im Laufe der Gespräche fanden wir heraus, dass es innerhalb der Familien keinen Austausch gab; die Kinder oder Enkel kannten die Geschichte ihrer Eltern oder Großeltern nicht“, sagt er.
Daher kam er auf die Idee eines virtuellen Museums, das für jeden zugänglich sein sollte. „Es war uns wichtig, dass nicht nur die Geschichte von Männern erzählt wird. Es gab schließlich auch viele Gastarbeiterinnen, deren Migrationserfahrungen weniger bekannt sind“, sagt Eliş – etwa die Geschichte von Özdal Dinçel.
Istanbul-München-Bremen
Sie beschloss 1964, nach Deutschland zu gehen, nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hatte und weil das Verhältnis zu ihrer Familie stark zerrüttet war. Während ihrer Ehe wurde sie schwanger. Doch ihre Familie wollte und konnte ihre Tochter nicht akzeptieren. Dinçel war gezwungen, ihre Tochter bei ihrem Ex-Mann zu lassen. „Ich beschloss, Istanbul zu verlassen, denn zu dieser Zeit war es sehr schwierig, als geschiedene Frau alleine zu leben“, heißt es in ihrer Biografie. Damals war sie 26 Jahre alt.
Die gelernte Schneiderin fand durch einen Bekannten einen Arbeitsplatz. Von Istanbul aus reiste sie mit dem Zug über München nach Bremen, wo sie am Hauptbahnhof von einem Angestellten der Firma abgeholt wurde. Sie arbeitete bei der Firma Ewald Willy, fertigte Blusen, bekam aber wenig Geld.
Um ihren Verdienst aufzubessern, arbeitete Dinçel noch zusätzlich. Sie lieh sich von einem Bekannten Geld, kaufte damit eine Nähmaschine und arbeitete von zu Hause aus. Weil es so gut lief, wechselte sie den Arbeitgeber. Dort wurde ihr eine Stelle als Vorarbeiterin angeboten, doch Özdal Dinçel lehnte ab. Ihre Deutschkenntnisse waren zu schlecht.
Nachfolgeprojekt beantragt
Sie heiratete 1978, bekam zwei Kinder. Ein Jahr später eröffnete sie ihre eigene Boutique mit sieben Angestellten. 1990 scheiterte die Ehe. „Mein Mann forderte aufgrund meines erfolgreichen Geschäftes einen hohen Unterhalt von mir“, erzählt sie. Ich wollte ihm nichts zahlen, weswegen ich meinen Laden aufgab und mich wieder der Tätigkeit, die ich von zu Hause ausführen konnte, widmete.“
Im Mai läuft das vom Bundesinnenministerium geförderte Projekt nach drei Jahren aus. Doch die Kurse und Werkstätten sollen durch die Arbeit der Freiwilligen fortgesetzt werden. Für das Museum beantragt das ZIS ein Nachfolgeprojekt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!