Mit Angriffen
war zu rechnen

„Jüdische Stimme“ mit Göttinger Friedenspreis – und gegen Kritik

Aus Göttingen Reimar Paul

Draußen vor der Tür schreien sich Demonstranten an. Die einen schwenken Israel-Flaggen, die anderen Fahnen Palästinas. Ein paar Mannschaftswagen der Polizei sind aufgefahren. Drinnen, in der Galerie „Alte Feuerwache“, läuft die Vergabe des Göttinger Friedenspreises der Stiftung Dr. Roland Röhl an den Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. Rund 450 Zuhörer sind am Samstag gekommen, viel mehr als üblich.

Das liegt daran, dass die Vergabe der mit 3.000 Euro dotierten Auszeichnung schon im Vorfeld für heftige Turbulenzen gesorgt hat. Unter anderen hatten der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, die „Jüdische Stimme“ als antisemitisch gebrandmarkt und das mit ihrer Nähe zur Boykott-Kampagne BDS (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) gegen Israel begründet. Wegen der Vorwürfe zogen Universität, Stadt und Sparkasse in Göttingen ihre Unterstützung zurück, die Uni versagte die Nutzung der Aula. Ein „Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus“ forderte gar eine Neubesetzung der Preisjury. Die Stiftung hielt aber an ihrer Wahl fest.

Die Vorsitzende der „Jüdischen Stimme“, Iris Hefets, nennt es am Samstag eine „große Ehre, einen Friedenspreis zu erhalten, und eine noch größere, in die ehrwürdige Liste der Träger des Göttinger Friedenspreises aufgenommen zu werden“. „Wir sind wahrscheinlich der einzige Preisträger, der sich bei der Benachrichtigung über die Preisverleihung sehr freute, gleichzeitig aber schon wusste, dass er sich warm anziehen muss“, sagte sie. „Mit den Angriffen und Verleumdungen war zu rechnen.“

Das Muster solcher Angriffe wiederhole sich. „Die Rechte der Palästinenser werden verletzt, es findet ein politischer Protest dagegen statt, die deutsche Presse findet – oder erfindet – einen antisemitischen Vorfall und am Ende wird von Antisemitismus geredet und diesbezüglich agiert, womit der ursprüngliche Protest erstickt ist.“ Zum Beispiel, als Palästinenser in Berlin gegen die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump protestierten, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen: Ein Journalist habe behauptet, die Demonstranten hätten „Tod den Juden“ auf Arabisch gerufen „und sofort wird über Antisemitismus unter Muslimen gesprochen“.

Die „Jüdische Stimme“ rede „Tacheles über das, was zwischen Mittelmeer und Jordan passiert“, so die deutsch-israelische Sängerin Nirit Sommerfeld in der Laudatio. „Das ist gut und wichtig, denn wenn man in Deutschland mehr weiß über die Fakten, dann kann deutsche Öffentlichkeit und Politik sich bewegen und Einfluss nehmen auf die israelische Regierung zugunsten einer gerechten und friedlichen Lösung.“

Sommerfeld weist den Antisemitismusvorwurf zurück. Der Verein distanziere sich „eindeutig von jeder Form von Gewalt, von Antisemitismus, Anti-Islamismus und jeder anderen Form von Rassismus“. Der Vorsitzende der Stiftung, Hans-Jörg Röhl, würdigt die Galerie, die dem Friedenspreis „Asyl“ gewährt habe. „Schneiden Sie von Ihrer Zivilcourage ein paar Scheiben ab und verteilen Sie sie in der Stadt, das wird ihr guttun.“