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„Es droht Qualitätsverlust“

Aus elf Professuren werden drei: Die Berufsschullehrerbildung in Hamburg wird geschrumpft. Der Erziehungswissenschaftler Tade Tramm warnt vor der Schwächung von Lehre und Forschung

Tade Tramm, 65, ist Professor für Erziehungswissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Wirtschaftspädagogik.

Interview Kaija Kutter

taz: Herr Tramm, warum gibt es Sorge um die berufliche Lehrerbildung in Hamburg?

Tade Tramm: Im Rahmen der Strukturplanung der Universität Hamburg werden Professorenstellen für die pädagogische Ausbildung zukünftiger Berufsschullehrkräfte gestrichen. Dies betrifft das Institut für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, an dem ich lehre, in besonderem Maße: Von ehemals elf Professuren für die Berufsschullehrerbildung bleiben künftig nur noch zwei bis drei. Das wird die Qualität von Forschung und Lehre zur beruflichen Bildung massiv beeinträchtigen.

Wie ist dieser Stellenschwund möglich?

Im Kern dadurch, dass es künftig an unserem Institut nur noch zwei voll ausgestattete Eckprofessuren geben soll: eine Professur für die Berufsausbildung in den kaufmännischen Berufen und eine zweite für das breite Spektrum der gewerblich-technischen Berufe; das reicht vom Goldschmied bis zum Betonbauer. Der wichtige Bereich der Lehrerbildung für die personenbezogenen Dienstleistungsberufe soll künftig nur noch durch eine Juniorprofessur abgedeckt werden.

Und die ist unzureichend?

Solche befristeten Stellen sind eigentlich zur Qualifizierung von Nachwuchswissenschaftlern vorgesehen und nicht zur Abdeckung des Grundbedarfs.

Welche Folgen hat der Schrumpfkurs?

Wenn die Zahl der Professuren so stark zurückgefahren wird, muss die akademische Lehre in den Didaktiken der beruflichen Fachrichtungen zukünftig wesentlich durch abgeordnete Lehrkräfte erfolgen, die hohe Lehrdeputate haben und nicht an der Forschung beteiligt sind.

Ist eine spezielle Fachdidaktik denn so wichtig?

Wir wissen aus der Lehrerforschung, dass die Qualität von Unterricht ganz zentral davon abhängt, wie gut die fachwissenschaftlichen Kompetenzen der Lehrkräfte sind und wie gut vor allem deren Fähigkeiten sind, den Schülern einen Zugang zu diesem Wissen und Können zu erschließen. Das ist die Kernaufgabe der Fachdidaktik, und eine gute fachdidaktische Ausbildung ist die zentrale Stellgröße für die Unterrichtsqualität.

Ein Beispiel?

Eine Lehrkraft, die an einer Berufsschule Auszubildende der Elektrotechnik unterrichten soll, muss ihren Unterricht mit einem „doppelten Gegenstandsbezug“ planen. Sie muss einerseits – wie jeder Lehrer – den fachwissenschaftlichen Hintergrund ihres Berufes wirklich gut verstehen. Sie muss andererseits aber auch auf dem Laufenden darüber bleiben, wie die betriebliche Praxis, für die sie ja ausbildet, konkret aussieht und wie sich diese verändert.

Und das wird bislang berücksichtigt?

Wegen dieser unterschiedlichen Anforderungen in den Berufsbereichen haben sich in Forschung und Lehre differenzierte Didaktiken der beruflichen Fachrichtungen ausgebildet. Es gibt einen weitgehenden bildungspolitischen Konsens, dass die Berufsschullehrerbildung nach diesen Fachrichtungen differenziert erfolgen soll und dass die Lehre und Forschung in den Didaktiken dieser Fachrichtungen grundsätzlich durch Professuren erfolgen soll.

Setzen andere Lehramtsstudiengänge dieses Prinzip um?

Interessanterweise folgt die Strukturplanung der Universität durchgängig diesem Prinzip und weicht nur bei den Fachrichtungen des beruflichen Lehramtes davon ab. Dort wird mit „Bündelprofessuren“ operiert, wie ich es oben beschrieben habe, vergleichbar vielleicht mit einer – natürlich fiktiven – „Professur für Sprachdidaktik“, die dann von Deutsch bis Türkisch und Latein alle Lehramtsstudierenden ausbilden sollte.

Also werden künftig Berufsschullehrer für Zahntechniker und Heizungsinstallateure, für Flugzeugtechniker und Goldschmiede alle von ein und demselben Professor ausgebildet?

Nicht im fachwissenschaftlichen Studium, aber in der Didaktik: Dort soll dann eine Professorin eine „Didaktik der technischen Berufe“ lehren. Eine Bündeldidaktik, die es so aber weder in der Forschung noch in der Lehre gibt und gegen deren Einrichtung sich Fachleute der beruflichen Bildung immer wieder verwahrt haben.

Und die anderen Berufsfelder?

Ähnliches ist auch für den Bereich der personenbezogenen Dienstleistungen vorgesehen. Dabei dürfte es jedem einsichtig sein, dass die fachlichen und fachdidaktischen Gemeinsamkeiten von Köchen, Altenpflegern und Kosmetikern sehr begrenzt sind. Unter Genderaspekten ist es bemerkenswert, dass ausgerechnet die Didaktik dieser überwiegend weiblich dominierten beruflichen Fachrichtungen nur durch eine Juniorprofessur abgedeckt werden soll.

Wie kam es überhaupt zu dem ganzen Umbau?

Die Erziehungswissenschaft in Hamburg ist seit vielen Jahren strukturell unterfinanziert. Der für die Lehre erforderliche Stellenbedarf ist durch das politisch zugestandene Budget nicht abgedeckt. Das Präsidium setzt jetzt diesen Budgetrahmen in eine Stellenstruktur um und bedient sich dabei externer Gutachter. Bei dieser Strukturplanung steht die Sicherung international anschlussfähiger, exzellenter Forschung im Vordergrund. Die Qualität der Lehre und die Weiterführung der Hamburger Lehrerbildungsreform werden dabei nach meiner Wahrnehmung zu nachrangigen Größen.

Was wäre denn das Minimum für eine vernünftige Berufsschullehrerausbildung?

Ich würde mir vor allem wünschen, dass solche Strukturentscheidungen nicht länger über die Köpfe der Betroffenen hinweg getroffen werden. Aus unserer Sicht müsste es zumindest für jede der drei Fachrichtungsgruppen – kaufmännische Berufe, gewerblich-technische Berufe und personenbezogene Dienstleistungsberufe – eine voll ausgestattete Professur geben. Über diese Professuren müsste für die Fachrichtungsgruppen sichergestellt werden, dass der Forschungsbezug der Lehre in allen Fachrichtungen erhalten bleibt.

Und weiter?

Daneben wäre es wichtig, auch losgelöst von den Aufgaben der Lehrerbildung empirische Berufsbildungsforschung in Hamburg durch eine Professur zu verankern. Ich finde es beschämend, dass Hamburg als Hotspot der Berufsbildungsreform keine Ressourcen für eine angemessene Begleitforschung zur Verfügung stellt.

Hamburgs Universität soll eine ausdrücklich exzellente werden. Leiden die Lehrerbildung und die Berufsbildungsforschung unter dieser Strategie?

Ich habe stark diesen Eindruck. Auch unabhängig von der aktuellen Stellenproblematik wird nach meinem Eindruck an der Universität eine Politik gefahren, die letztlich darauf hinaus läuft, wissenschaftliche Forschung und akademische Lehre voneinander abzukoppeln. Bei Budget- und Stellenentscheidungen, bei der leistungsbezogenen Mittelvergabe, aber auch in Berufungsverfahren schlagen durchgängig Forschungsparameter durch. Das sind insbesondere internationale Sichtbarkeit, Publikationskennzahlen und Drittmittelvolumen in der Grundlagenforschung.

Wie wirkt sich diese Politik auf die Berufsschule aus?

Es wirkt zunächst auf die Qualität der Lehrerbildung, wenn eine berufliche Fachrichtung nicht mehr professoral vertreten ist. Unsere abgeordneten Lehrkräfte leisten hervorragende Arbeit, aber sie sind die ersten, die sich beklagen, wenn sie in ihrer Arbeit den Anschluss an den wissenschaftlichen Diskurs und die Entwicklung des fachdidaktischen Erkenntnisstandes verlieren. Diesen aber können sie angesichts ihrer hohen Lehrdeputate nur über die Zusammenarbeit mit den Professoren sichern.

Was droht aus Ihrer Sicht verloren zu gehen, wenn nicht gegengesteuert wird?

Wenn wir zunehmend international ausgerichtete Forscher haben, die sich um Exzellenz auf immer spezielleren Gebieten bemühen, dann ist damit die Gefahr verbunden, dass sie sich von der pädagogischen Praxisforschung und der Begleitforschung im Berufsbildungssystem abkoppeln. Damit ginge etwas verloren, was traditionell die Stärke und das Markenzeichen der Hamburger Erziehungswissenschaft war: die enge Verzahnung von Innovation im Schul- und Berufsbildungssystem mit wissenschaftlicher Anregung und Unterstützung unterschiedlichster Art.

Es heißt oft, unser duales Ausbildungssystem sei toll. Aber stimmt das eigentlich – aus Sicht der Forschung?

Sowohl von Seiten des politischen Senates als auch der Hochschulleitung werden die Vorzüge der dualen Ausbildung gepriesen. Die Vernachlässigung der beruflichen Lehrerbildung und der Berufsbildungsforschung in Hamburg stehen in seltsamem Kontrast dazu. Jedem muss klar sein, dass dieses Modell auf Dauer nur erhalten werden kann, wenn es sich weiterentwickelt, also Schwachstellen identifiziert und behebt und Zukunftsbedarfen gerecht wird.

Was tun?

Das ist ein Prozess, in dem eine praxisbezogene, kritische Berufsbildungsforschung gefordert ist. Wenn man versäumt, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, wird dies schon auf mittlere Sicht zu einem Qualitätsverlust der dualen Ausbildung und zu einer Schwächung des Ausbildungsstandortes Hamburg führen.

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