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Kompromisslose Demonstranten

Algeriens umstrittener Präsident Bouteflika will zwar nicht noch mal antreten, verschiebt aber die Wahl auf unbestimmte Zeit. Das provoziert erneut Massenproteste in der Hauptstadt, weitere werden für Freitag erwartet

Aus Algier Sofian Philip Naceur

Schon seit den frühen Morgenstunden kreisen Polizeihelikopter über der Stadt, Hundertschaften der Polizei werden im Stadtzentrum von Algier postiert. Ein klares Zeichen, dass das Regime auch für diesen Dienstag wieder Großdemonstrationen der StudentInnenschaft gegen Präsident Abdelaziz Bouteflika erwartet.

Mit einigen Hundert SchülerInnen fängt es am Vormittag an. Geschmückt mit algerischen Nationalfahnen skandieren die Jüngsten in Algeriens Gesellschaft vor der Grande Poste im Herzen der Hauptstadt laut Parolen gegen den Staatschef. Schnell schwillt die Menge auf einige Tausend an. Bis zum Nachmittag ziehen Zehntausende durch Algier und machen deutlich, dass sie mit der am Vortag präsentierten Übergangslösung keineswegs einverstanden sind.

„Wie es weitergeht? Keine Ahnung. Das weiß hier keiner genau, aber auf jeden Fall ohne Bouteflika“, sagt die Pharmazeutin Meriem der taz am Rande der am Place Audin versammelten Menge. Für sie ist der erste Sieg bereits errungen. „Wir stehen hier und demonstrieren und reden über Politik. Das ging vorher nicht“, sagt sie.

Die von Präsident Bouteflika präsentierte Übergangslösung mutet in der Tat an wie ein fauler Kompromiss. Am Montagabend hatte sich der 82-jährige, gesundheitlich schwer angeschlagene Präsident in einem Brief an die algerische Bevölkerung gewandt. Darin erklärte Bouteflika, er werde nicht für eine weitere, insgesamt fünfte Amtszeit kandidieren – eine der Hauptforderungen der algerischen Jugend.

Doch per Dekret löste Bouteflika die Wahlkommission HIISE auf und verschob den Urnengang, ohne allerdings einen neuen Wahltermin bekannt zu geben. Zudem kündigte er eine „nationale Konferenz des Konsenses“ an, in deren Rahmen der politische Übergangsprozess und eine neue Verfassung beziehungsweise eine Verfassungsänderung vorangetrieben werden sollen.

„Wie es weitergeht? Keine Ahnung. Das weiß hier keiner genau“

Eine Demonstrantin am Dienstag

Dass dies die erhitzten Gemüter der Protestbewegung und der Opposition beruhigen wird, ist jedoch praktisch ausgeschlossen. Seit Mitte Februar schon demonstrieren Hunderttausende gegen die ursprünglich vorgesehene fünfte Kandidatur von Bouteflika bei der Präsidentschaftswahl, die im April hätte stattfinden sollen.

Der auf den Protesten stark angefeindete Regierungschef Ahmed Ouyahia reichte noch am Montagabend seinen Rücktritt ein. Sein Amt übernimmt der Bouteflika-Vertraute und seit 2015 amtierende Innenminister Noureddine Bedoui. Für den früheren Außenminister, Ramtane Lamamra, wurde der Posten des Vizepremierministers geschaffen. Er übernimmt zudem erneut das Amt des Außenministers.

Mit dieser Regierungsumbildung hat sich Bouteflikas Clan offenbar im Machtapparat durchsetzen können – zumindest augenscheinlich. Im unausweichlichen Übergangsprozess zu einem Post-Bouteflika-Algerien dürften seine Leute eine führende Rolle spielen, jedoch zu einem späteren Zeitpunkt in die zweite Reihe rücken. Andere Clans in Algeriens fragmentiertem Machtgefüge wollen mehr Einfluss und werden diesen auch bekommen.

Die hinter dem Staatschef stehende Regimefraktion hat es damit dennoch geschafft, Bouteflika im Amt zu halten. Nach ersten Interpretationen der Ankündigung vom Montag wird der greise Präsident damit auch nach seinem offiziellen Mandatsende im April Staatsoberhaupt bleiben – auf unbestimmte Zeit.

Trotz dieses bitteren Beigeschmacks zogen nur Minuten nach den Mitteilungen Tausende Menschen durch die Straßen von Algier. Bis in die frühen Morgenstunden feierten sie an der Grande Poste und dem Place Audin in der Innenstadt diesen ersten Teilerfolg. In die Freude mischt sich jedoch auch Skepsis: „Es gibt keinen Grund zum Feiern. Bouteflika bleibt im Amt und seine Leute verletzten die Verfassung“, sagte ein Café-Betreiber in Sichtweite der demonstrierenden Jugendlichen der taz.

Die Regierungskrise in Algerien

Das Land

Algerien ist der Fläche nach der größte Staat des afrikanischen Kontinents und der zehntgrößte Staat der Welt. 65 Prozent seiner fast 42 Millionen BürgerInnen sind unter 30 Jahre alt.

Der politische Hintergrund

In den 1990er Jahren hatten Kämpfe zwischen islamistischen Aufständischen und den Sicherheitskräften rund 150.000 Menschenleben gekostet. Der heute 82-jährige Bouteflika ist seit 1999 an der Macht. Ihm ist zugerechnet worden, Algerien versöhnt zu haben. Nach einem Schlaganfall im Jahr 2013 sitzt er im Rollstuhl und hat große Probleme zu sprechen. (taz)

In der Tat blieben die meisten, die zuletzt gegen Bouteflikas Kandidatur demonstriert hatten, am Montag zu Hause und bereiteten erste Schritte für das weitere Vorgehen vor. Die abermalige Massenmobilisierung der Studierendenschaft am Dienstag dürfte ein Vorgeschmack auf Freitag sein. Denn in sozialen Netzwerken und seitens zahlreicher Oppositionsparteien wird erneut zu landesweiten Großdemonstrationen aufgerufen.

Unklar bleibt derweil, welche Rolle das im Land einflussreiche Militär in den nächsten Wochen zu spielen gedenkt. Bouteflika hatte noch am Montagabend Armeechef Ahmed Gaid Salah empfangen. Der Inhalt der Konsultation wurde bisher nicht bekannt. Doch Gaid Salahs Auftritt zeigt deutlich: Der Sicherheitsapparat ist bei den regimeinternen Kungeleien ganz vorne mit dabei.

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