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Mit No Names in Richtung Brüssel

Auf ihrem Parteitag in Bonn schafft die Linke den Spagat zwischen EU-Anhängern und EU-Gegnern, ohne sich zu zerlegen

Aus Bonn Martin Reeh

Am frühen Samstagabend, als das venezolanische Militär mit Gewalt gegen Hilfslieferungen vorging, drängten auf dem Linken-Parteitag Delegierte darauf, über einen Antrag zur Unterstützung der Maduro-Regierung abzustimmen. Schließlich eilte Parteichefin Katja Kipping selbst ans Mikrofon, um auf die knappe Zeit zu verweisen. Leider könne der Antrag deshalb nicht mehr behandelt werden. Eine knappe Mehrheit entschied sich schließlich für Nichtbefassung.

Das Thema „Venezuela“ zog sich wie ein roter Faden durch den Europaparteitag der Linken in Bonn. Am Samstagmittag hatten Delegierte, darunter die Bundestagsabgeordneten Alexander Neu und Zaklin Nastic, die Bühne geentert. Sie entrollten unter Beifall ein Transparent mit der Aufschrift: „Hände weg von Venezuela – Vorwärts zum Sozialismus“. Außenpolitiker Stefan Liebich grummelte zwar auf Twitter, mit dem Sozialismus, den er sich wünsche, habe Venezuela nichts zu tun. Aber der Parteivorstand vermied eine Auseinandersetzung mit den Maduro-Fans.

Acht Monate nach dem Leipziger Parteitag ist in der Linken der große Frieden eingekehrt. Damals zerstritt sie sich über die Migrationsfrage. Im November kam es zum Burgfrieden zwischen Fraktionschefin Sahra Wagenknecht und den Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger. In Bonn räumte nun eine geschickte Regie die großen Streitpunkte aus dem Weg.

Beim Europawahlprogramm hatte der Bundesvorstand schon im Vorfeld lange beraten, um die etwa gleich großen Lager von EU-Befürwortern und EU-Gegnern zufriedenzustellen. Was nicht einfach war: Das Forum Demokratischer Sozialismus (FDS) forderte eine Republik Europa, also die Auflösung der Nationalstaaten. Die Antikapitalistische Linke (AKL) wiederum hatte „Die EU ist nicht zu reformieren“ in ihren Antrag geschrieben, was auf die Forderung nach einer Auflösung der EU hinausläuft. 24 Stunden lang feilschten die Genossen um einzelne Formulierungen.

Katja Kipping zeigte in ihrer Rede am Freitag eine leichte Schlagseite zugunsten der EU-Freunde. „Auf eine andere EU hinzuarbeiten ist die größere Liebeserklärung, als in Europa alles so zu lassen, wie es ist“, sagte sie. „Wir wollen kein Auseinanderbrechen der EU.“ Wer die EU-Debatte in der Linkspartei verstehen will, muss zwischen den Zeilen lesen: Um die Balance zwischen den Flügeln zu wahren, spricht die Linkspartei oft nüchtern vom „Neustart“ der EU und nicht pathetisch von einer „Liebeserklärung“.

Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, eine EU-Kritikerin, fehlte in Bonn krankheitsbedingt. Ihren Part übernahmen andere: „Die EU ist ein neoliberales Gebilde. Daran gibt es nichts zu rütteln, auch wenn viele es sich anders wünschen“, sagte die NRW-Landesvorsitzende Inge Höger.

Für die Republik Europa setzte sich der sächsische Spitzenkandidat Rico Gebhardt ein: „Es kann keine Alternative sein, Nationalstaaten wieder groß zu machen“, sagte er. Er wisse, dass die Republik Europa eine Vision sei. „Aber wenn wir keine Visionen hätten, wären wir doch bei den Sozialdemokraten.“

Am Ende setzte sich der Kompromissvorschlag des Parteivorstands eindeutig durch. Auch die Kandidatenliste für die Europawahl ist eine Kompromisslösung: So groß das Bekenntnis zu Europa auf Parteitagen bei vielen auch sein mag – nach Brüssel drängt es nur wenige. Gerade die Prominenten bleiben lieber in Berlin oder in den Ländern.

2009 und 2014 hatte die Linkspartei ihre altgedienten Vorsitzenden Lothar Bisky und Gabi Zimmer jeweils eine letzte Runde als Spitzenkandidat drehen lassen. Diesmal schickt sie zwei ins Rennen, die öffentlich wenig bekannt sind: Martin Schirdewan, 43, der 2017 als Nachrücker ins Europaparlament kam, und Özlem Demirel, 33, die 2017 Spitzenkandidatin der NRW-Linken war.

Auch das ist sorgfältig austariert: Schirdewan ist Mann, aus dem Osten, wird zum rechten Parteiflügel gezählt. Demirel ist Frau, aus dem Westen und gehört zur Parteilinken. Beide erhielten mit um die 84 Prozent der Delegiertenstimmen ein gutes Ergebnis. Auf den Plätzen drei bis fünf kandidieren die, die wieder nach Brüssel müssen, weil sie dort schon sind: Cornelia Ernst, Helmut Scholz und Martina Michels.

Traditionell fällt es der Linken bei Europawahlen schwer, ihre gesamte Klientel zu mobilisieren. 2014 erhielt sie 7,4 Prozent der Stimmen. Ob es reicht, Liebeserklärungen an Europa abzugeben, aber weithin Unbekannte an die Spitze der Liste zu stellen, wird sich im Mai zeigen.

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