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ErstklassigerBestatter

Trainer Thomas Doll fällt bei Hannover 96 vor allem mit seiner vernichtenden Kritik auf. Nach der 1:5-Niederlage beim VfB Stuttgart prügelter erneut auf sein Team ein

Fleischgewordene Hoffnungslosigkeit: Thomas Doll mag gar nicht mehr hinschauen Foto: dpa

Aus Hannover Christian Otto

In seine scharfen Analysen mogelt sich gerne ein väterlicher Tonfall. „Ich bin ja schon lange im Geschäft“, sagt Thomas Doll meistens, wenn er über den Profifußball im Allgemeinen und über Hannover 96 im Besonderen referiert. Seine Versuche, sich selbst als Kenner der Branche darzustellen, sind allerdings auch mit einer deutlichen Distanzierung von der eigenen Mannschaft verbunden. Nach dem bitteren 1:5 (0:3) beim VfB Stuttgart am Sonntag erreichte die Wortwahl von Doll eine neue Eskalationsstufe. „Mit so einer Leistung hast du aber gar nichts zu suchen in der 1. Bundesliga“, sagte jener Mann, der Ende Januar als Motivator und Scharfmacher geholt worden war. Aktuell tritt Doll eher wie der Bestatter eines gescheiterten Fußballprojekts auf. Er schimpft, kritisiert und schämt sich.

Klare Ansprachen, voller Elan, konkrete Spielidee: Was vor wenigen Wochen mit Blick auf den Amtsantritt von Doll noch so hoffnungsvoll klang, erscheint immer fragwürdiger. Wo genau ist eigentlich ein Unterschied zum entlassenen Vorgänger André Breitenreiter zu erkennen? Wie hart kann ein neuer Trainer mit seiner völlig verunsicherten Mannschaft noch ins Gericht gehen? Die Antworten, die auf solche Fragen ins Spiel kommen, gehen eher zu Lasten des neuen Trainers. „Mir geht die ganze Situation auf den Sack“, sagte Doll nach der vierten Niederlage im fünften Versuch. 0:3, 0:3, 0:3, 1:5 – angesichts dieser negativen Ausbeute wirkt der zwischenzeitliche 2:0-Erfolg über Schlusslicht 1. FC Nürnberg wie ein positiver Ausrutscher, der kaum zu verhindern war. Doll befürchtet, dass sich Hannover 96 zur Lachnummer der Liga entwickelt, und trägt auf seine Art einen gehörigen Teil dazu bei. Der Ruf des Trainers, der nach zehnjähriger Abstinenz voller Tatendrang in die Bundesliga zurückgekehrt ist, könnte nun grundlegenden Schaden erleiden. Der 52-Jährige droht bei seiner Bundesligamission rekordverdächtig schnell zu scheitern.

Die Sprache des ehemaligen Torjägers Doll bleibt in der Rolle des Anführers simpel. Seine Jungs sollen rausgehen und kicken. Seine Idee vom guten Fußball hat vor allem mit Leidenschaft und mit „Brust raus“ zu tun. Dummerweise bewirkt seine massive Kritik, die er schon vom ersten gemeinsamen Spiel an angestimmt hat, nichts. Auch in Stuttgart war das gesamte Aufbauspiel von Hannover 96 durch Fehler und Unzulänglichkeiten geprägt. „Das Selbstvertrauen ist angeknackst. Da stimmt es im Moment einfach nicht“, berichtet Stürmer Hendrik Weydandt. Die Kritik seines Trainers stuft er als produktiv und konstruktiv ein. Aber der ehemalige Nationalspieler Doll kann eben auch nicht verbergen, wie sehr ihn die Auftritte seiner Mannschaft enttäuschen und frustrieren.

Es gab im Vorfeld der Saison diverse Hilferufe. Immer wieder hatte mit Breitenreiter ein klar strukturierter Trainer darauf hingewiesen, Hannover 96 habe einen nicht auf allen Positionen bundesligatauglichen Kader. Darauf nicht mit der entsprechenden Konsequenz reagiert zu haben, liegt in der Verantwortung von Präsident Martin Kind und Sportdirektor Horst Heldt. Angesichts der sportlich nahezu aussichtslosen Situation mit 14 Punkten nach 24 Spieltagen erhöht sich der Druck auf zwei Entscheider, die sich im Vergleich zur Konkurrenz zu viele Fehler innerhalb einer Saison geleistet haben.

„Mit so einer Leistung hast du aber gar nichts zu suchen in der1. Bundesliga“

Thomas Doll

Heldt wollte den Verein verlassen. Kind mochte ihn nicht ziehen lassen. Erst wurde nicht genug Geld für gute Neuzugänge bewilligt. Dann kam kurz vor Ende der winterlichen Transferperiode der aktionistische Plan auf, einen Hochkaräter wie Shinji Kagawa verpflichten zu wollen. Der Japaner wechselte lieber zu Besiktas Istanbul und wird sich aus sicherer Entfernung noch einmal darin bestätigt fühlen, dass ein Wechsel zu Hannover 96 kein Karriere­schritt nach vorne gewesen wäre.

Am kommenden Sonntag (Anpfiff 18 Uhr) steht im Heimspiel gegen Bayer Leverkusen der nächste Versuch an, irgendwie doch noch irgendetwas besser hinzubekommen. „Unser Spiel ist schwer anzugucken“, gesteht Hannovers Torhüter Michael Esser, der trotz der vielen Gegentore seit Wochen bester Mann beim Tabellenvorletzten ist. Der rüde Tonfall des Trainers, mit dem die Mannschaft offenbar bei der Ehre gepackt werden soll, darf bisher mit Rückendeckung des Sportdirektors angeschlagen werden. Heldt hat Doll ausgewählt, damit ein neuer Impuls gelingt. Angesichts des drohenden Abstiegs stellt sich aber eher die Frage, welche Vorkehrungen Hannover 96 trifft, um eine realistische Chance auf den Wiederaufstieg vorzubereiten. Am 23. März tritt Kind zunächst als Präsident des eingetragenen Sportvereins Hannover 96 ab. Eine breite Opposition ist mit seinem Wirken und dem von Heldt unzufrieden. Im Vorjahr waren der Sportdirektor und die Spieler noch geschlossen bei der Mitgliederversammlung aufgetreten. Ein solch symbolhafter Auftritt ist derzeit nur bedingt zu empfehlen.

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