piwik no script img

Das Publikum ist freundlich einverstanden

Der Kalifornier Sun Araw stellt in Berlin seine hochoriginelle Fusion aus New Age, Dub, Lo-Fi und Afro-Funk vor

Von Elias Kreuzmair

Wenn Cameron Stallone im schummrigen roten Licht des Roten Salons auftaucht, in dem ein Großteil des Konzertprogramms der Berliner Volksbühne stattfindet, dann sitzt die Vergangenheit in mehrfacher Hinsicht mit auf der Bühne. Stallone, der unter dem Namen Sun Araw (natürlich eine Anspielung auf den großen Jazzer Sun Ra) auftritt, sieht mit Schnauzer und Zopf aus wie ein Frank-Zappa-Lookalike. Wie bei Zappa ist Stallones Hauptinstrument die Gitarre, wie Zappa hat er Kalifornien zu seiner Wahlheimat auserkoren. Auch musikalisch lassen sich Verbindungen ziehen: Elemente psychedelischer Rockmusik, aus dem Jazz, aus Soul und Funk lassen sich bei beiden finden.

Sun Araws Musik verstärkt dieses Gefühl noch einmal, dass hier die Zukunft der Musik erst einmal zurücksteht: Zwar ist Stallones Mischung – und ja, es braucht diese lange Auflistung, um ungefähr einen Eindruck von der Musik zu vermitteln – aus New Age, Dub, Lo-Fi und Afro-Funk hochoriginell, wenn man aber beispielsweise die Space-Effektsounds des Keyboards hört, dann denkt man unmittelbar an die Musik der Siebziger und Achtziger.

Dass der Sound der Gegenwart von Geistern der Vergangenheit geplagt wird, hat der britische Kulturtheoretiker Mark Fisher mit dem Begriff Hauntology auf den Punkt zu bringen versucht. Bei Fisher gibt es natürlich trotzdem noch gute Musik, auch die ist aber schwer von Depression und Melancholie geprägt. Stallones musikalischer Entwurf passt einerseits zu Fishers Überlegungen: Gerade die Zukunftsentwürfe der 1970er und 1980er Jahre und der spätere Verlust solcher Entwürfe spielen eine wichtige Rolle. Andererseits ist die Musik von Stallone nicht melancholisch, sondern von Entdeckerlust und freudigem Eklektizismus geprägt. Auch wenn Stallone in seinen Anfängen mal in einer Band mit dem Namen Pocahaunted, kurz P-Haunt, spielte, lässt sich unter Rückgriff auf die Thesen Fishers nur die Hälfte seines Pop-Entwurfs begreifen.

Die andere Hälfte ist, dass Stallone seinen musikalischen Kosmos durch eine Unzahl von Kollaborationen immer wieder erweitert. Mindestens einmal im Jahr erscheint ein Album mit seiner Beteiligung. Am bekanntesten ist bislang das Werk „Icon Give Thank“ von 2014, das er zusammen mit der jamaikanischen Rootsreggae-Band The Congos aufgenommen hat. Auch in die Volksbühne kommt er nicht allein. Obwohl er unter dem Alias Sun Araw tendenziell solo unterwegs ist, wird er hier von drei Mitmusikern – einem Perkussionisten,einem Keyboarder und einem Saxofonisten – unterstützt.

Links auf der Bühne sitzt Stallone, auf dem Schoß die Gitarre, vor ihm ein Pad zur Steuerung von Effekten und Loops sowie ein Laptop. Sein Blick richtet sich nicht zum Publikum, sondern in Richtung seiner Musikerkollegen. Er leitet die Session, indem er mit seinem Pad den Rhythmus vorgibt. Der Perkussionist, dann der Keyboarder steigen ein, und der Saxofonist sorgt für die Textur. Manchmal ergänzt Stallone noch verhallte Vocals zwischen Gesang und Ruf. Im Prinzip gibt es zwei Modi: Ausgetüftelte Dub-Grooves und das neugierige Nachhören bestimmter Sounds von Keyboard oder Saxofon.

So bestreitet das Quartett den Abend in zwei Etappen. Die erste dauert 45, die zweite 15 Minuten. Das Publikum wiegt sich langsam und freundlich einverstanden hin und her. Dennoch ist in manchem Moment irritierend, dass hier vier weiße Jungs Psychedelic Rock und Lo-Fi mit Dub und Afro-Funk anreichern. Es ist nicht so, dass sie das nicht könnten. Im Gegenteil: Man erlebt vier neugierige, gut aufeinander abgestimmte Künstler, die mit Spaß bei der Sache sind. Irgendwie wird man aber das Gefühl nicht los, dass das hier ziemlich small world music ist. Die Garage und das Kinderzimmer, aus denen die Lo-Fi-Gitarren kommen, gehörten doch meistens weißen Kids. Cameron „Frank Zappa“ Stallone kann dafür nicht viel, siehe nicht nur seine The-Congos-Kooperation. Es bleibt an diesem sonst angenehmen Abend nur ein leichtes Unbehagen. Vielleicht sind diese Sounds jedoch noch auf eine weitere Weise „haunted by the past“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen