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Inder verklagt ElternVom Nachteil, geboren zu sein

Ein indischer Mann verklagt seine Eltern, weil die ihn ohne seine Einwilligung gezeugt haben. Das sei Kidnapping, meint er.

Ob wohl jemand dieses Neugeborene vorher gefragt hat, ob es existieren will oder nicht? Foto: unsplash/rawpixel

BERLIN taz | „Es ist es nicht wert Suizid zu begehen, weil man sich immer zu spät umbringt“, schrieb einst Emil Cioran. Für den rumänischen Philosophen war das menschliche Dasein nicht mehr als ein kosmischer Witz, dem gegenüber die Nichtexistenz vorzuziehen sei. „Ich wünsche frei zu sein – verzweifelt frei. Frei wie Totgeborene frei sind“, proklamiert er in seinem 1973 erschienenen Werk mit dem fröhlichen Titel Vom Nachteil, geboren zu sein.

Für den Freitod ist der Zug also schon längst abgefahren, sobald man auch nur einen Fuß in die Welt setzt. Aber immerhin kann man nach wie vor die eigenen Eltern verklagen, weil die einen dem Schrecken der Existenz ausgeliefert haben. So dachte es sich zumindest der 27-jährige Raphael Samuel aus dem indischen Mumbai.

Samuel ist erklärter Anhänger des Antinatalismus – einer philosophischen Strömung, die aus metaphysischen, religiösen oder bevölkerungspolitischen Gründen die Geburt von Menschen als ein moralisches Übel betrachtet. Unter anderem der Hinduismus sowie gnostische Sekten wie der Manichäismus sind stark von dieser Auffassung geprägt und raten Menschen davon ab, sich fortzupflanzen. Cioran ist einer der bekanntesten Vertreter dieser Denkrichtung, genauso wie der Horror-/Weird Fiction-Autor Thomas Ligotti und der Philosoph Arthur Schopenhauer.

„Ich liebe meine Eltern“, meint Samuel in einem Interview mit The Print, „und wir haben eine großartige Beziehung, aber sie haben mich für ihr Glück und ihre Freude bekommen.“ Er habe dem Ganzen nicht zugestimmt – was die Entscheidung seiner Eltern, ihn zu zeugen, zu einem Verbrechen mache. „Ist ein Kind in diese Welt zu zwingen und es dann zu einer Karriere zu drängen nicht Kidnapping und Sklaverei?“, fragt er.

Wäre es nicht besser sich in eine weit entfernte Ecke der Welt zurückzuziehen, wo all ihr Lärm und ihre Komplikationen nicht mehr zu hören wären?

Emil Cioran

Cioran hätte an solch provokanten und logisch nicht ganz einwandfreien Aussagen wohl Gefallen gefunden. Von Samuels Klage wären der rumänische Philosoph und andere Antinatalisten aber alles andere als begeistert gewesen. Für die asketischen Denker ist die Jagd nach weltlichen Besitztümern nämlich die ganze Mühe gar nicht wert.

„Wäre es nicht besser sich in eine weit entfernte Ecke der Welt zurückzuziehen, wo all ihr Lärm und ihre Komplikationen nicht mehr zu hören wären?“, sinniert Cioran in Auf den Gipfeln der Verzweiflung, „dann könnten wir Kultur und Ambitionen aufgeben; wir würden alles verlieren und nichts gewinnen; denn was gibt es zu gewinnen in dieser Welt?“. Soviel dazu.

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17 Kommentare

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  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Öfter mal was Neues:

    taz goes CIORAN. Gut so. Weitermachen!

  • Linke beklagen sich andauernd über menschliches Leid, sehen aber in der Zeugung von leidenden Menschen trotzdem kein moralisches Problem. Der Pro-Natalismus geht so weit, dass selbst in den Klimawandel-Artikeln, die inzwischen fast täglich erscheinen, das eigentliche der Überbevölkerung nicht einmal angesprochen wird.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Thomas Friedrich:

      Welche Weisheit über LINKE. Erzählen Sie mir mehr von mir.

      Vielleicht wollen Sie sich mal mit Faktengestützten Kommentaren beteiligen???

    • @Thomas Friedrich:

      sorry, da fehlt ein Wort: *das eigentliche Problem der Überbevölkerung

  • “While good people go to great lengths to spare their children from suffering, few of them seem to notice that the one (and only) guaranteed way to prevent all the suffering of their children is not to bring those children into existence in the first place,” (David Benatar)

  • Der Mann hat vollkommen recht. Kinder zu kriegen ist eine selbstsüchtige Entscheidung, bei der man einem anderen Menschen ein leidvolles Leben aufdrängt, nur um selbst ein paar Jahre beschäftigt zu sein. Wieso man dafür dankbar sein sollte oder warum Eltern als Wohltäter ihrer Kinder angesehen werden, ist unbegreiflich. Jedes Leid, das ein Mensch im Laufe seines Lebens ertragen muss, beruht auf der egoistischen Entscheidung seiner Eltern, ihn in die Welt zu setzen.

  • Viele Frauen - zukünftige Mütter - werden auch (immer noch) nicht gefragt, ob sie geschwängert werden möchten.

    Und dann dürfen sie (meist) noch nicht mal abtreiben, wenn sie das denn möchten.

    Conclusio: Die Männer (Väter) allein sind schuld ;-)

    • @Hanne:

      Was Sie schreiben, gilt nur für Vergewaltigungen. Bei einvernehmlichem Sex hat die Frau einen mindestens genauso großen Anteil an der Entstehung eines Kindes wie der Mann. In Ländern, in denen Abtreibung möglich und ungefährlich ist, einen noch größeren.

  • Ich denke, man sollte dankbar für das Leben sein. Nicht jeder Mensch, hat das Glück die Erde unter den Füßen zu spüren. Samuel kommt mit der Aussage ein wenig undankbar rüber, auch wenn es seine Kultur ist, die ihn vielleicht dazu drängt. Er sagt, er würde seine Eltern lieben und hätte ein gutes Verhältnis zu ihnen, aber wieso dann seine Aussage ? Wenn mir jemand was schönes kauft als Überraschung, fragt mich die Person ja auch nicht, ob ich überhaupt eine Überraschung will. Wenn ich die Überraschung dann habe, bin ich dankbar. Wieso sollte ich dann also meckern ? Ich hoffe damit ist meine Meinung etwas nachvollziehbar..

    • @Sophie Prechtl:

      Wäre jedes Leben eine "schöne Überraschung", dann gäbe es nicht allein in Deutschland jährlich 100.000 Suizidversuche. Oder sind das auch alles undankbare Menschen?



      Könnte man das "Geschenk des Lebens" wenigstens unkompliziert zurückgeben, d.h. wären Mittel wie Natriumpentobarbital frei verfügbar, dann wäre die Fortpflanzung vielleicht etwas weniger unmoralisch.

  • echt witzig !

  • 6G
    61321 (Profil gelöscht)

    Falls es zum Prozess kommt, dürfte es schwierig werden für Samuel, Zeugen seiner Zeugung aufzutreiben. Die Eltern werden nämlich sicher von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen

    • @61321 (Profil gelöscht):

      Genau, und wie bitte, hätten seine Eltern ihn um Erlaubnis fragen sollen



      ? In seinem vorherigen Leben?

    • @61321 (Profil gelöscht):

      Vor allem gewinnt der uralte Spruch meiner Mutter, wenn ich mal wieder etwas ungeneusige Wünsche an die Altvorderen herantrug: - “da hättest du bei der Auswahl deiner Eltern halt etwas vorsichtiger sein sollen!“ - ne völlig neue Dimension.

      unterm—-allerdings ist zu bedenken—



      “Mater certa est“ - röm. Pandekten (?)



      (für WL “die Mutter ist sicher!“..servíce

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Lowandorder:

        Erst jetzt entdeckt. Meine Resourcen sind begrenzt.

        Dennoch: Asche über mein Haupt. Und danke für den Service von der Sorte 'Allerliebst'!!!

      • 6G
        61321 (Profil gelöscht)
        @Lowandorder:

        Ich hab mich auch gefragt, ob der Samiel noch nichts vom Herrn Steiner in diesem Kontext gelesen hat

        • @61321 (Profil gelöscht):

          Je nun. Den Vater könnte er ja tanzen.