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„Das Leben ist die beste Zeit“

In den 1980er Jahren war Matti Nykänen der herausragende Skispringer der Welt. Jetzt ist er mit nur 55 Jahren gestorben. Über Jahre hatte der Sportler mit Alkoholproblemen gekämpft

Aus Stockholm Reinhard Wolff

Schwarze Trauerumrandung prägte am Montag die Internetauftritte finnischer Zeitungen. Matti Nykänen war in der Nacht vom Sonntag gestorben. Ein Skisprungidol nicht nur in Finnland. Aber auch ein Sportler, der nach seiner aktiven Karriere immer wieder durch Skandalschlagzeilen aufmerksam auf sich machte. Sein Hauptfeind: der Alkohol.

Geboren 1963 in Jyväskylä, wo zu seinen Ehren am Montag halbmast geflaggt wurde, war Nykänen als 18-Jähriger auf der Holmenkollen-Schanze in Oslo 1982 erstmals Skisprungweltmeister geworden. In den Folgejahren hatten seine Konkurrenten keine Chance mehr. Bei der Sarajevo-Olympiade 1984 holte er die Goldmedaille auf der Großschanze und ein Jahr später in Planica mit einem 191-Meter-Sprung den Weltmeistertitel im Skifliegen. Sein erfolgreichstes Jahr war 1988, als er überlegen die Vierschanzentournee gewann und bei der Olympiade in Calgary alle drei möglichen Goldmedaillen abräumte.

Bis 1991 gewann er neun Weltmeisterschaftsmedaillen. Doch vor allem der Rücken und die Knöchel bereiteten ihm auch ständige gesundheitliche Probleme. Endgültig zu Ende ging seine Karriere, als der Schwede Jan Boklöv mit der Erfindung des V-Stils den Skisprung revolutionierte. Auf diese Sprungtechnik, die ab 1990 den bisherigen Sprungstil, bei dem die Skier parallel geführt wurden, ablöste, konnte sich Nykänen – „ich bin doch keine Vogelscheuche“ – nicht mehr umstellen. Zuletzt rangierte er unter den Top-30-Springern 1990 beim Weltcup in Thunder Bay. Danach tauchte der Name Nykänen vorwiegend im Zusammenhang mit negativen Schlagzeilen auf. Er versuchte sich trotz begrenzten Talents als Popsänger. Doch nur die erste Platte war ein Verkaufserfolg. Als Stripper in einem Kasino lief es auch nicht besser. Vom Privatleben ganz abgesehen. Fünfmal war er verheiratet. Sein Alkoholmissbrauch hatte schon zu aktiven Zeiten begonnen. Er brachte Nykänen mehrfach hinter schwedische Gardinen. 2004 wurde er wegen versuchten Totschlags zu einer Haftstrafe von 26 Monaten verurteilt. Im Alkoholrausch hatte er im Streit über die Regeln beim Fingerhakeln einen Freund mit dem Messer niedergestochen. Im September 2005 vorzeitig auf Bewährung entlassen, saß er nach einer halben Woche schon wieder in Untersuchungshaft. Er hatte seiner damaligen Frau im Vollrausch eine Kopfwunde zugefügt. 2010 erfolgte nach einer Messerattacke auf seine Ehefrau mit einer Haftstrafe von 16 Monaten die letzte Verurteilung. Der Titel „Grüße aus der Hölle“ für seine 2003 erschienene Autobiografie war da durchaus passend.

2006 war „Matti“ in die Kinos gekommen, ein Film über sein Leben, in dem natürlich auch einige seiner legendären Oneliner nicht fehlen durften. Zum Beispiel: „My chances are fifty-sixty“, „Jesus wurde auch gesteinigt, und jetzt ist er weltbekannt“ oder „Das Leben ist die beste Zeit des Menschen“.

In den letzten Jahren schien Nykänen sein Alkoholproblem endlich besser in den Griff zu bekommen. „Mit ihr hat sich mein destruktives Leben geändert“, erzählte er in einem Interview in Bezug auf seine letzte Ehefrau, Pia. Mit dem Trinken ganz aufzuhören schaffte er aber nicht. „Ich weiß, dass das mit meiner Diagnose gefährlich ist“, hatte er noch vor zwei Wochen gegenüber der Tageszeitung Aamu­lehti erklärt. 2018 sei er an Diabetes erkrankt, „aber nun habe ich endlich die richtige Insulinbalance gefunden, und damit sind meine Kräfte und meine Lebenslust zurückgekehrt.“

Derzeit „fühlt sich alles wieder verdammt gut an“ betonte er da. In den vergangenen Wochen war Nykänen, Vater von drei Kindern, als Entertainer durch Restaurants getingelt. Seinen letzten Auftritt hatte Matti Nykänen in der Nacht von Freitag auf Samstag im Pallogrilli in Helsinki.

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