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„Man kann auch mal am Tischbein sägen“

Die Off-Galerie „Einstellungsraum“ fragt in diesem Jahr nach dem Wesen und den Regeln von Regeln. Vorneweg dabei ist die Hamburger Künstlerin Jutta Konjer mit Tisch-Arbeiten

Inszenierungen in wilden Müllablagerungen: die Fotoarbeiten „Morgentoilette“ und „Waldwäsche“ Fotos: Jutta Konjer

Von Frank Keil

„Ein Tisch hat in der Regel vier Beine“, sagt Jutta Konjer. Und sie verweist auf ihren Tisch, der zentral im Ausstellungsraum liegt, von außen durch die großen Schaufenster zu begutachten, während hinter einem der Verkehr tost. Ihr Vier-Beine-Tisch liegt auf dem Rücken. Er ist in seine Einzelteile auseinandergefallen, die aber so zum Stehen und Liegen gekommen sind, dass das Tischhafte nicht zu übersehen ist. Es bräuchte nur etwas Entschlossenheit und Holzleim und der Tisch würde wieder als Tisch, an dem man sich setzt, um zu essen oder zu arbeiten, funktionieren – würde nicht die Tischplatte fehlen.

Jutta Konjers Ausstellung „Das fünfte Bein am Tisch“ ist einer der ersten Beiträge zum diesjährigen Themenreigen des Kunst-Off-Raumes „Einstellungsraums“ in Hamburg-Wandsbek, der da lautet: „Regeln regeln. Regeln regeln!“ Eine Reise in das vordergründige Durcheinander von Regeln; eine Hinterfragung ihrer Gültigkeit, ihrer Gesetzmäßigkeiten wie ihrer Schwachstellen.

Entsprechend fragt Konjer mit ihren Tischskulpturen: Wer sitzt wo? Und wer sitzt wo nicht? Gibt es also eine Sitzordnung und wenn: Ist sie dauerhaft angelegt oder temporär gedacht, beim Sonntagsfrühstück etwa? Gibt es Stammsitzplätze, wer hat sie festgelegt, was wäre ihre vielleicht sogar sinnvolle Funktion? Und wenn man den Tisch verlassen will, kann man das einfach so machen – also aufstehen und seines Weges gehen?

Oder gesellt sich nicht spätesten hier zur eben noch eindeutigen Regel das immer wieder neu zu bestimmende Feld der Regelinterpretation? Womit man bei der Ausnahme von der Regel wäre, ohne die die Regel interessanterweise sofort an Kraft verliert; so wie das Regeln-Verhandeln – das also Regeln ihrerseits geregelt werden müssen und auf die Regel sogleich die nächste Regel folgt – die die eigentliche Dynamik unseres Zusammenlebens ausmacht.

Das andere, der Spielraum, hat auch Jutta Konjer sofort interessiert: also ob ein Tisch stets vier Beine haben muss, um ein Tisch zu sein und als Tisch zu funktionieren. Und so hat sie zu ihrer vierbeinigen Tischskulptur eine Reihe Zeichnungen gefertigt, die in spröder Schlichtheit durchdeklinieren, dass es auch ganz anders geht: nämlich mit fünf, mit sechs, mit acht Beinen. Oder mit drei Beinen, mit zweien und ganz ohne Beine.

Eine Tischplatte liegt auf Winkeln, wird seitlich gehalten von zwei Seilen, als einsamer Sitz- oder Arbeitsplatz mit Blick allein auf die Wand, jedenfalls ein: Tisch. Und wer kunstgeschichtliche Referenzen entdecken mag, dem wird Jutta Konjers Spiel mit der wohl geregeltsten Kunstepoche wie -episode – der Minimal Art – gewiss gefallen. „Man kann auch mal am Tischbein sägen“, sagt Konjer und lacht.

Neben weiteren Zeichnungen zu weiteren Tischskulpturen finden sich auch Fotoarbeiten, die die Fotoarbeiten aufgreifen, mit denen Jutta Konjer als Teil des Künstler-Duos Kroko bekannt geworden ist: Zusammen mit ihrem Partner, dem Künstler Manfred Kroboth sowie dem Familienhund entstand ab 2011 die Serie „abgestellt“.

Den beiden war bei Spaziergängen an ihrem Wohn- und Arbeitsort am Rande von Hamburg-Harburg immer wieder aufgefallen, was alles an Müll und Unrat herumliegt – bis hin zu halben Wohnzimmern. Und sie begannen, klassische häusliche Szenen inmitten von Brachen und kleinen Waldstücken zu inszenieren, oft mit Rückgriffen auf die Kunstgeschichte, etwa die Landschaftsmalerei der Romantik, garniert. Die Fotoarbeit „Der große Einkauf“ zeigt, wie sie sich mit zwei zurückgelassenen Einkaufswagen den Weg durchs Gebüsch bahnen; für „Schwiegermutterbesuch“ haben sie sich adrett gekleidet auf ein aufgefundenes und durchgesessenes Sofa niedergelassen, Kaffeetassen samt Unterteller angespannt in den Händen haltend.

Wurden diese Fotoarbeiten bei allem enthaltenen Spott über unsere banalen Alltagsmomente immer auch als Verweis und Kritik an der prekären Lage heutiger Künstler verstanden, so betritt man mit ihnen zugleich eine weitere Regelwelt: Was ist eigentlich davon zu halten, wenn die Leute beim Entsorgen ihres Mülls sich nicht an die einfachsten Regeln halten – und einfach den alten Kühlschrank in die Pampa werfen. Wenn sie das mittlerweile windschiefe Regal zu einer halbeingestürzten Mauer stellen. Wenn sie den längst unansehnlichen Sessel nachts heimlich um die Ecke ins Gehölz tragen, wo ohnehin schon Müll liegt. Wo mit ihm dann was passiert?

Im Herbst 2015 starb Manfred Kroboth, und nun erhalten Arbeiten aus der „Abgestellt“-Reihe, in denen Jutta Konjer allein zu sehen ist, eine ganz andere Aufladung: in der Arbeit „Morgentoilette“ sitzt sie auf einer Kloschüssel und kämmt sich loreleyhaft das Haar; drumherum Gestrüpp und teilweise aufgeplatzte Plastiksäcke, im Hintergrund erheben sich Strommasten. In „Waldwäsche“ befüllt sie im Unterholz stehend eine Waschmaschine; in „Suppentopf“ kocht sie sich am Rande eines Gewerbehofes einen großen Topf Suppe.

Fällt aus dem Rahmen: „Suppentopf“

Ein neues Foto fällt sozusagen aus dem Rahmen und öffnet zugleich einen neuen Raum: Man sieht die Frau, die Jutta Konjer ist, ohne sie zu sein, erneut auf einem ausrangierten Sessel und wieder steht ihr ein Hund zur Seite, der ihr Hund ist. Doch die Umgebung hat sich entscheidend geändert: Statt auf fahles Gestrüpp, Astwerk und Unterholz, schaut man in eine Häuserecke, sieht nichts als Stein und Asphalt.

Entstanden ist diese Fotoarbeit in Hamburg-Bergedorf – wie Harburg, gleichfalls nicht mehr als 20 S-Bahn-Minuten von der Stadtmitte entfernt, doch gefühlt ebenso abgeschieden gelegen, ähnlich vom Großstadtgeschehen abgeschrieben und daher von vergleichbarer eigensinniger Stadträndigkeit.

Jutta Konjer hat Harburg mittlerweile verlassen. Sie ist nun mit ihrem Atelier im Kunsthaus Bergedorf untergekommen, und sie ist dabei, sich nicht nur häuslich neu ein- und auszurichten. Man kann gespannt sein, wie es ihre künstlerischen Arbeiten prägen wird.

Bis zum 1. März im Einstellungsraum in Hamburg-Wandsbek

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