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Von Bujumbura bis Zehlendorf

Die beeindruckenden Fotografien Jean Molitors im Willy-Brandt-Haus zeigen den Einfluss des Bauhauses auf die Architektur der Welt

Von Brigitte Werneburg

Wunderschöne Häuser sind zurzeit im Willy-Brandt-Haus zu bestaunen. Großformatige Aufnahmen zeigen sie gerne strahlend weiß verputzt mit Flachdach und nackten Fenstern, deren Glas in schmale Stahlrahmen gefasst ist. Die Fotografien dieser Gebäude, deren moderne Gestalt inzwischen unter Bauhaus-Stil firmiert, stammen von Jean Molitor. Er hat sie in der ganzen Welt gesucht und, wo er sie fand, ihrem Stil gemäß in sachlichem Schwarzweiß aufgenommen.

Die wenigsten Bauten freilich sind originäres Bauhaus, das im Übrigen zahlreiche Wegbereiter sowie Wegbegleiter hatte. Bei der Aufnahme der Fabrikhalle der Margarete-Steiff-Werke in Giengen an der Brenz würde man jederzeit an die 1920er Jahre und an Walter Gropius denken. Tatsächlich ist es von Richard Steiff, dem Neffen der Plüschtierfabrikantin, konzipiert. Das Gebäude punktete bereits 1903 mit einer der ersten Vorhangfassaden in Deutschland.

Die weltweite Dokumentation der Bauten der Moderne ist das große Projekt von Jean Molitor. Es umfasst die moderne Baukunst aus dem Umfeld der Gruppe De Stijl in den Niederlanden, der Skandinavischen Moderne von Alvar Aalto oder Arne Jacobsen, des sowjetischen Rationalismus eines Konstantin Melnikow oder des italienischen Razionalismo der Gruppo 7 und von Giuseppe Terragni. 2009 startete der Fotograf, der bei Arno Fischer an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studiert hat, seine Recherche unter dem Namen „bau1haus“.

Zehn Jahre später, 2019, kann er im Ausstellungsraum des Willy-Brandt-Hauses eine Auswahl von rund 150 Aufnahmen zeigen. In 16 Ausstellungsabschnitten informieren die Bilder über Kommunalbauten wie Feuerwachen – jene von Miami Beach hat noch starke Art-déco-Anteile –, wie Post- und Fernmeldeämter – großartig die Münchner Beispiele von Robert Vorhoelzer – und wie Verwaltungs- und Bürogebäude, wobei hier der Modernisierungsschub selbst das ostafrikanische Bujumbura oder Guatemala-Stadt erreicht, wo Wilhelm Kreis 1935 ein Bürohaus realisierte.

Besonders schnittig und besonders international zeigen sich die Bauten in den Abschnitten, die lokalen und internationalen Villen gelten. Hier konnten die Architekten besonders frei und radikal modern planen, dokumentierte sich im Privatbau doch die gegenüber der Moderne aufgeschlossene Haltung der Bauherren. Entsprechend entwarf der Architekt Seyfi Arkan die von Atatürk als Sommerresidenz genutzte Seevilla „Florya“ als ins Marmarameer ragenden, tadellosen weißen Privatpier.

Deutlicher als an der Wand fallen bestimmte Baudetails in der Publikation des Hatje Cantz Verlags auf, die als Begleitbuch gelten kann. Anders als die Ausstellung sortiert der Band die Fotografien nicht nach Bauaufgabe, sondern nach Bauformen. Ob es sich um das 1935 in Paris gebaute Haus Niermans handelt, das 1930 fertiggestellte Haus Dr. Kurt Gröbe in Gera oder das Wohnhaus in Kris­tiansand in Norwegen von 1937, sie eint eine beliebte modernistische Baufigur: alle münden sie zur Straße hin in eine Rundung anstelle der üblichen Wand.War die Internationalisierung des Neuen Bauens vielfach Resultat der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik, war sie vor allem im sozialen Wohnungsbau auch Ergebnis von Wertschätzung. Ernst May, als Baudezernent mit dem Neuen Frankfurt zu Ruhm gelangt, ging 1930 aufgrund einer Regierungseinladung in die Sowjetunion. Dort baute er etwa in Magnitogorsk modernistische Wohnblocks, die heute heruntergekommen ausschauen. Als sein Vertrag 1933 nicht verlängert wurde und in Deutschland Hitler an die Macht gekommen war, kaufte sich May 1934 in Tansania eine Farm.

Dann machte er sich im benachbarten Kenia als Architekt selbstständig, wo seine 1947 in Nairobi entstandenen modernistischen Delamar Flats noch immer großartig erhalten sind. Seine Aga-Khan-Mädchenschule für die Religionsgemeinschaft der Ismaeliten 1949 in Kisumu am Viktoriasee nannte er ein „avantgardistisches Projekt“. Was es gewiss war, obwohl Bildung in dieser Zeit nicht länger Privileg für wenige Jungen sein sollte. Neben dem Schulbau waren Sportstätten und Bauten der Freizeitindustrie wie Kinos oder Urlaubsanlagen eine für die Moderne typische Bauaufgabe.

In Kabul fotografierte Jean Molitor 2007 die zerbombten Reste des 1930 errichteten Kinos „Barikot“, dessen beliebte modernistische Rundung zur Straße hin aufgerissen und das zerstörte Treppenhaus sichtbar ist. Mit Konstantin Melnikows Arbeiterclub in Moskau (1929) stößt man auf ein Gebäude, das eher ausschaut wie ein Forschungslabor oder eine Fabrikationsanlage.

Dann kommt endlich die maßgebliche Rolle zur Sprache, die die Sozialdemokratie und ihre Gewerkschaften für das Neue Bauen und das Bauhaus spielten

Hier lag denn auch das erste Arbeitsfeld der architektonischen Moderne, wie schon das Steiff-Werk belegt. Eine ähnlich kühne Maschinenästhetik wie die von Melnikow und anderer russischer Konstruktivisten zeigt das von Eugen Kastner und Fritz Waage gebaute Umspannwerk in Wien oder ein grandioser Speicher in Malmö in Schweden.

Ist man in der Ausstellung bei den Aufnahmen der Industriebauten angelangt, schließt daran ein Exkurs zur Typografie der Moderne und des Bauhauses an. Das mag zunächst verwundern, führt aber auf die richtige Spur. Denn hier, mit Blick auf Rainer Fettings Willy-Brandt-Skulptur, kommt endlich die maßgebliche Rolle zur Sprache, die die Sozialdemokratie und ihre Gewerkschaften für das Neue Bauen und das Bauhaus spielten.

Herbert Bayer und Jan Tschichold arbeiteten etwa für die Büchergilde Gutenberg und entwarfen auch sonstige Broschüren für die Partei und ihre Organisationen. Von Hannes Meyer stammt die Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in Bernau, zuvor hatte Walter Gropius das Haus des Konsumvereins in Dessau realisiert und das Arbeitsamt.

Jean Molitor, der an die Typografie-Vitrine anschließend weitere im Kontext der Sozialdemokratie entstandene Bauten zeigt wie Erich Mendelsohns Haus des Deutschen Metallarbeiterverbandes in der Alten Jakobstraße oder von Martin Wagner, dem SPD-Stadtbaurat, initiierte Gartenstadtsiedlungen wie Onkel Toms Hütte oder die Waldsiedlung Zehlendorf, ist mit seiner Ausstellung im Willy-Brandt-Haus am definitiv richtigen Ort.

Bis 14. März, Willy-Brandt-Haus, Stresemannstr. 28, Di.–So. 12–18 Uhr. Am 14. März gibt es um 18 Uhr ein Gespräch mit Klaus Mettig vom Freundeskreis des Hauses und dem Designhistoriker Walter Scheiffele, Jean Molitor ist anwesend.

Jean Molitor, bau1haus – die moderne in der welt. Berlin 2018. 160 Seiten, 100 Abb., 40 Euro

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