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Unten treten, oben rum frei

Ein etwas anderer Stadtführer: Der Autor Falko Hennig fährt in Berlin Fahrradrikscha und erzählt davon in dem Buch „Rikscha Blues“

Von Katharina Granzin

In einem früheren Jahrhundert hätte man ihn vielleicht ein „Berliner Original“ genannt. Das würde man heute nicht mehr so sagen. Und benutzt eigentlich noch wer den Begriff „Lebenskünstler“? Auch der wird immer seltener. Aber irgendwo in Berlin muss es noch ein paar Biotope geben, in denen solche Menschen gedeihen: Leute wie Falko Hennig, der eigentlich Schriftsteller ist, aber wie so viele Autorenkollegen auch von anderen Dingen lebt.

Hennig, 1969 in Berlin geboren, ist nicht nur Mitbegründer und Mitwirkender der „Reformbühne Heim und Welt“, Vorsitzender und Begründer der Charles-Bukowski-Gesellschaft, Gelegenheitsjournalist und Radiomoderator, sondern daneben auch Zettelsammler, Kuriositätenliebhaber, Fußballspieler (in der Autoren-Nationalmannschaft), Stadtführer und: Rikschafahrer. Andere fahren Taxi; Hennig radelt statt dessen seine Kunden durch die Hauptstadt. In der Rikscha-Saison bleibe ihm nur morgens und abends Zeit, seinen eigentlichen Beruf – also den des Schriftstellers – auszuüben, schreibt er in seinem Buch „Rikscha Blues“, dem wohl allerersten autobiografisch-literarischen Zeugnis, das ein Angehöriger des Berufsstandes der Rikschafahrer in Deutschland hervorgebracht hat. Die Berliner Rikschafahrer (so erzählen es zumindest Berlinbesucherinnen, die sich zu einer Fahrt haben überreden lassen) können nicht nur strampeln, sondern haben oft auch viel zu erzählen, betätigen sich also gleichzeitig als Stadtbilderklärer, wenn man sie nur lässt. Das bringt jede Menge Trinkgeld, wie sich in „Rikscha Blues“ erfahren lässt.

Die Höhe des Honorars

Falko Hennig flicht nämlich nicht nur allerlei Detailwissen zur Stadtgeschichte in seinen Textfluss ein, sondern verzeichnet auch gewissenhaft die Höhe seiner jeweiligen Honorare und Trinkgelder. Der Informationsmehrwert des Buches besteht somit auf zweierlei Ebenen: Man weiß danach viel über das Rikschawesen, dessen man sich vorher nicht bewusst war. Zum Beispiel, dass alle Gefährte mit einem unterstützenden Elektromotor ausgestattet sind. Muss man also gar nicht so ein schlechtes Gewissen haben, wenn man sich mal auf diese Art kutschieren lässt… Und auch einiges nett Abseitige aus der Stadtgeschichte lässt sich hier erfahren, das man vorher nicht wusste und das man anschließend gleich wieder vergisst. Macht nix, beim nächsten Mal bleibt’s vielleicht hängen.

Da „Rikscha Blues“ episodischen Charakter hat und oft vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt, kann es durchaus passieren, dass man manche Passagen zweimal liest, weil man ganz vergessen hatte, wo man vorher war. Das hat den Vorteil, dass man mit der Lektüre auch beinahe anfangen kann, wo man will, denn das sehr minimale Stränglein an handlungsähnlichem Erzählgewebe hält das Buchganze nicht wirklich zusammen – wenn man die Verlaufsschilderung der Affäre des Rikschafahrers mit einer schönen Sängerin vom Hauptbahnhof überhaupt schon als Handlung einordnen möchte.

Atmosphärisch ist „Rikscha Blues“ auf jeden Fall ein originelles kleines Stück Berlinliteratur, das man sich gut und gern für künftige HauptstadtbesucherInnen ins Regal neben die Reiseführer stellen kann. Und wenn man nächstens einen Rikschafahrer mit nacktem Oberkörper sieht, guckt man vielleicht mal genauer hin. Es könnte der Schriftsteller Falko Hennig sein.

Falko Hennig: „Rikscha Blues“. Omnino Verlag, Berlin 2018, 264 Seiten, 18,99 Euro

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