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Wo sich Club und Klassik treffen

Steve Reich bringt mit seiner Kompositionstechnik des „Phasing“ die Welt der Minimal Music und des Techno näher zusammen. Der Multiinstrumentalist Gregor Schwellenbach bringt seine Musik nun mit fünf Pianisten auf die Bühne im großen Sendesaal des RBB

Von Stephanie Grimm

Wie anders würde unsere Gegenwart klingen, gäbe es Steve Reich nicht? Der New Yorker Komponist, Mitbegründer der sogenannten Minimal Music und zugleich einer der großen Klanginnovatoren des 20. Jahrhunderts, hat nicht nur in der Klassik große Spuren hinterlassen, sondern auch die Welt des Pop nachhaltig beeinflusst. Die britische Tageszeitung The Guardian drückte es 2012 in ihren „Guide to Steve Reich’s music“ folgendermaßen aus: „Wenn man Steve Reich von der Gesamtsumme der gegenwärtigen Musikkultur abzieht, würde das einen größeren Unterschied machen, als bei irgendjemand anderem.“

Niemand hat dieser Lesart zufolge den Klang der Gegenwart also so sehr beeinflusst wie der heute 82-jährige Reich. Der hatte ursprünglich übrigens gar nicht Komposition, sondern Philosophie studiert. Von afrikanischen Trommeln sollte er sich später ebenso beeinflussen lassen wie von John Coltrane; von Igor Strawinski, selbst Innovator der Neuen Musik, ebenso wie von Johann Sebastian Bach.

Mit Reichs großer Anschlussfähigkeit erklärt auch Gregor Schwellenbach seine Faszination für den Komponisten. Schwellenbach ist Multiinstrumentalist, selbst gelernter Komponist, in diesem Kontext aber vor allem Bandleader der sechs Pianisten, die Reichs Stück „Six Pianos“ auf hiesige Konzertbühnen bringen: „Steve Reich ist von allen traditionellen Komponisten des 20. Jahrhunderts für Leute, die mit Pop aufgewachsen sind, am verständlichsten. Die wissen bei seiner Musik sofort, woran sie sind und was das soll. Steve Reich ist ein Komponist, bei dem die Welt des Clubs und die der Klassik auf natürliche Weise zueinander finden.“

Tatsächlich gibt es zwischen der Spielart der Neuen Musik, die sich Minimal Music nennt, und Techno ausgeprägte Parallelen. Etwa, dass oft mit minimalen Verschiebungen eines sich wiederholenden Motivs gespielt wird. Damit wird in der Elektronik gerne gearbeitet und auch bei Reichs Kompositionen gibt es diese, bisweilen leicht variierten Wiederholungen. Die werden von den Musiker teils synchron, teils um einige Takte versetzt und mit unterschiedlichen Betonung gespielt. Dieser sogenannte „Phasing“ ist eine speziell von Reich entwickelte Kompositionstechnik.

Schwellenbach bringt sie nun mit fünf anderen Pianisten auf die Bühne, wie er selbst sind sie allesamt Grenzgänger zwischen Klassik und Pop. Das Konzert im großen Sendesaal des RBB wird der vierte Liveauftritt des Ensembles sein, auch in der Elbphilharmonie waren sie schon. Mit dabei: der Kanadier John Kameel Farah, der einst von Terry Riley, einer anderen Größe der Minimal Music, Klavierunterricht bekam, Kai Schuhmacher und Erol Sarp, letzterer bekannt als eine Hälfte der experimentierfreudigen Grandbrothers. Und mit Daniel Brandt und Paul Frick zwei Mitglieder Berliner Combo Brandt Brauer Frick, die an das Thema Rhythmus sowieso von jeher sehr komplex herangehen. Zu Anfang, beim ersten Auftritt und der gemeinsamen Plattenaufnahme von „Six Pianos“ (erschienen 2016 bei FilmRecordings) war auch noch der Düsseldorfer Komponist Hauschka dabei, doch der war nach seiner Oscar-Nominierung für die Filmmusik zu „Lion – Der lange Weg nach Hause“ plötzlich auch in Hollywood ein gefragter Mann, es kam zu Terminproblemen. Kai Schuhmacher, der auf ungewöhnliche Weise klassische Avantgarde und Popkultur fusioniert, ersetzte ihn.

Schwellenbach und seine Mitmusiker arbeiten daran, dass ein Bandgefühl zwischen ihnen entsteht, obwohl ihre Zusammenarbeit stark projektbezogen ist: „Man hat ja nur selten einen Raum mit sechs Flügeln zur Verfügung.“ Konkret heißt es, dass wenn man nur Gelegenheit zum intensiven Zusammenüben erhält, wenn ein Konzert bevorsteht, man zumindest auf anderen Ebenen nah dran an der Arbeit der anderen bliebt. „Es ist wichtig, dass wir Kontakt halten“, erklärt Schwellenbach, „uns füreinander interessieren und vorab eine Spannung aufbauen – auf dass man aus nicht allzu unterschiedlichen Sphären in die Probensituation hineinpurzelt.“

Ursprünglich wollte Steve Reich seine gut 20 Minuten lange Komposition für alle Klaviere schreiben, die in einem New Yorker Musikgeschäft verfügbar waren. Doch der so entstehende Klang erschien ihm viel zu dicht. Reich kam schließlich zu der Erkenntnis, dass sechs die maximale Anzahl ist, die noch praktikabel ist. „Darüber funktioniert es nicht, weil man sich nicht mehr gut gegenseitig hört“, erklärt Gregor Schwellenbach.

Die Variationen des Grundmotivs, die die Musiker teils synchron, teils versetzt spielen, sorgen für ein kanonartiges, repetitives Klanggewebe, in denen sich die Akzente immer wieder leicht verschieben. „Was mir sehr gut an dem Stück gefällt, ist die Tatsache, dass alle gleich wichtig sind“, bringt Schwellenbach es den Punkt: „Das passt auch zu unserer speziellen Konstellation. Wie sind alle Einzelkämpfertypen, haben aber eine große Sensibilität füreinander.“

Weil Reichs Stück eher kurz ist, wird es zudem Soloarbeiten dieser sechs Einzelkämpfer zu hören geben. Dieser Teil des Abends variiert übrigens von Auftritt zu Auftritt ein bisschen. Die Musiker sollen Raum haben, ihre Arbeiten vorzustellen, und trotzdem soll es zusammen ein rundes Ganzes ergeben: „In der Summe soll es wirken wie ein gut kuratiertes DJ-Set.“ Damit sich Club und Klassik mal wieder treffen – wie es sich bei einem Abend über Steve Reich gehört.

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