Demo fürs Fernsehen

Nach 34 Jahrensoll die ARD-Serie „Lindenstraße“ abgesetzt werden. Dagegen protestierten am Samstag 300 Menschen in Köln

„Linden-straßen“-Ultras in der Kölner Innenstadt Henning Kaiser/dpa Foto: Foto:

Aus Köln Adrian Schulz

„Helga Beimer ist für mich fast wie eine Mutter.“ Oder: „Mit der Lindenstraße habe ich gelernt, für Menschen zu kämpfen, die am Rand stehen.“ Oder: „Lindenstraße darf nicht sterben.“ So hört sich politisches Engagement an. Zumindest bei der Demonstration am vergangenen Samstag in Köln gegen die Absetzung der seit 1985 laufenden ARD-Serie „Lindenstraße“.

Für Jörg Flöttl, der die Demonstration organisiert hat, ist es die erste öffentliche Kundgebung, an der er teilnimmt. Er arbeitet mit geflüchteten Jugendlichen in Nürnberg, ist massig und hat kurze gelbe Haare. Die Rolle des Organisators bekam Flöttl übertragen von einem anderen Ewig-Fan, der so überlastet ist, dass er nicht mal kommen kann, weil sein Hundesitter abgesagt hat.

Sollte man nicht lieber Kundgebungen für die Umwelt abhalten? „Kein Format ist so sehr am Puls der Zeit wie die Lindenstraße“, wendet Flöttl ein. „Immer wieder greift sie Tabuthemen auf und sorgt so dafür, Vorurteile abzubauen und Normalität zu erzeugen.“

Bei klirrender Kälte verlaufe ich mich in der Kölner Innenstadt, die tatsächlich, wie ein „Extra3“-Autor neulich schrieb, zur Hälfte dem WDR gehört. Vielleicht muss er deshalb sparen; auch das beklagt Flöttl. Früher hätten deutlich mehr Darsteller pro Folge mitgespielt. „Die Sommerpausen werden länger, Werbung gibt es sowieso schon lange nicht mehr.“ Die Probleme – hausgemacht. Und die sinkende Quote, nun ja: „Da zählen ja die ganzen Online-Aufrufe gar nicht rein.“ Seine Vermutung: „Die Lindenstraße hält der Gesellschaft den Spiegel vor. Und da fühlt sich so mancher ertappt.“

Diversitymäßig ist die Veranstaltung recht ansehnlich. Um 14 Uhr geht es los, einer der besten Beiträge stammt von einem, der seinen im Rollstuhl sitzenden Partner am 27. Juni 1997 geheiratet hat, am gleichen Tag wie Carsten Flöter. Genau, der mit dem ersten deutschen schwulen Fernsehkuss der Geschichte. Wie die Sendung werden auch die Redebeiträge in Gebärdensprache gedolmetscht.

Der von Petra Namyslo zum Beispiel, ein Gedicht. Sie demonstriere oft gegen Massentierhaltung, erzählt sie, habe lange beim Berliner Tierschutzbeauftragten gearbeitet und die erste Hanfparade der Stadt organisiert.

Etwa 300 Leute stehen inzwischen zwischen Dom und Hauptbahnhof, viele kennen sich, im Zweifel von Komparsenauftritten. „Ich musste Rosinenbrötchen ohne Rosinen bestellen“, berichtet Gabriele Stollmann, Übersetzerin. Berufe aus der Mitte der Gesellschaft. „Keinen meiner Liebhaber hatte ich länger als die Lindenstraße“, meint sie und lacht. Auch ein Politiker nutzt die zeitweilig offene Bühne, der Duisburger SPD-Landtagsabgeordnete Frank Börner.

Redner schimpfen auf das Privatfern-sehen, das seicht und gefällig sei

Auf das Privatfernsehen schimpfen die Redner gerne, das Quote bringe und marktgängig sei, aber seicht und gefällig. Paradoxerweise argumentieren sie gleichzeitig recht überzeugend mit der trotz allem hohen Zuschauerzahl (ca. 2,5 Millionen) der „Lindenstraße“; und paradoxerweise ist ein solcher Privatfernsehen-Abgott mitten unter ihnen: Marco Jankowski, der 2011 und auch dieses Jahr Kandidat bei „Schwiegertochter gesucht“ war. Er ist mit zwei Freunden aus der Nähe von Hannover angereist und kann sich, wie alle hier, ein Leben ohne nicht vorstellen.

„The Show Must Go On“ von Queen wird gespielt, obwohl ein Lied von Andreas Dorau noch passender wäre: „Das ist Demokratie / langweilig wird sie nie.“ Zum Höhepunkt läuft – natürlich – der „Lindenstraßen“-Walzer. Im letzten Jahr sei erstmals auch die Silvesterfolge ausgefallen, erklärt Flöttl, an deren Ende das gesamte Ensemble traditionellerweise auf der Straße tanzt.

„Lindenstraße ist Leben“, erklärte Flöttl am Anfang pathetisch. „Die Versammlung vor dem Fernsehgerät“ nennt eine Siebzehnjährige es auf der Bühne. Denn da die Reproduktion der Wirklichkeit diese nie im strengen Sinne kopieren kann, bedarf sie ständiger Besprechung und Durcharbeitung. So wie das Leben. „Warum soll ich sonst sonntagabends mit meiner Mutter telefonieren“, fragt der Pressesprecher Andreas Sartorius am Schluss.

Die nächsten Demonstrationen sind schon in Planung: im Februar, wieder in Köln und in München. Ob es was bringt? Man darf gespannt sein. So wie in der „Lindenstraße“.