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Mehr Leberkäse wagen

Die bayerische Staatspartei besinnt sich auf ihre soziale Ader. „Die CSU war nie die Partei der Proseccotrinker“, verkündet der neue Chef Markus Söder. Sein Vorgänger Horst Seehofer ist jetzt Ehrenvorsitzender und isst Weißwürste

Ein Herz und eine Seele: Neuchef Markus Söder und Ehrenchef Horst Seehofer Foto: Tobias Hase/dpa

Aus München Dominik Baur

Die Zeitenwende beginnt fast ein bisschen gespenstisch. Als die CSU-Protagonisten dieses Tages den Saal betreten, bleibt es vollkommen ruhig. Keine Musik, keine Ansage, kein Applaus. Horst Seehofer, Markus Söder und Manfred Weber schreiten zu Beginn des CSU-Sonderparteitags in München Richtung Tribüne, umringt von einem Pulk von Kamerateams zwar, aber sonst, ohne größeres Aufsehen zu erregen.

Erst als sie schon den Großteil der Wegstrecke hinter sich haben, etwa auf Höhe der niederbayerischen und der oberfränkischen Delegierten, sind einzelne Klatscher zu hören. Ein Besucher reckt einsam ein Schild in die Höhe. Die Aufschrift: „Danke, Horst“. Als Regiepanne bezeichnen Zuschauer den Einzug später. Aufbruch jedenfalls sieht anders aus.

Dabei sieht das Programm des Parteitags am Samstag genau das vor: einen kraftvollen Übergang vom bisherigen Parteichef Horst Seehofer zum neuen Heilsbringer Markus Söder. Ein Signal der Erneuerung für die Partei, aber auch für das Verhältnis zur CDU, deren Chefin natürlich auch vorbeischaut, und ein Startschuss für den gemeinsamen Europawahlkampf, an dessen Ende sich die Christsozialen ein solides Ergebnis, vor allem aber CSU-Vize Weber als nächsten EU-Kommissionspräsidenten erhoffen.

Kurz: Es sollte der Höhepunkt dessen werden, wofür in den vergangenen zwei Wochen bereits bei den Klausurtagungen in den Klöstern Seeon und Banz der Grundstock gelegt wurde. So ganz ging der Plan jedoch nicht auf. Die Stimmung im Saal ist gedämpft, keinesfalls euphorisch. Die Reden sind wenig mitreißend, der Applaus ist artig.

Seehofer überlässt die große Bühne schon mal seinem Nachfolger. Er werde nur kurz reden, hatte er die Parteispitze vorab wissen lassen. Die war zwar skeptisch, schließlich sind Ankündigung und Umsetzung bei Seehofer nicht immer kongruent, doch der hält sich dann tatsächlich an seine Ansage. Er erinnert kurz an die zehn Jahre, in denen er Vorsitzender dieser „bärenstarken Volkspartei“ gewesen sei. Es waren genau, Seehofer hat nachgerechnet, 3.739 Tage. Damit ist Seehofer der CSU-Chef, der dieses Amt am zweitlängsten innehatte: Er kommt gleich nach Franz Josef Strauß – wenn auch mit sehr großem Abstand. 74 Jahre alt wird die CSU in diesem Jahr, zwei Drittel dieser Zeit habe er an vorderer und vorderster Front mitgewirkt, sagt See­hofer.

Und wenn er als scheidender Parteichef noch einen Wunsch für die Zukunft formulieren dürfe, dann sei das nur dieser eine: „Vergesst mir die kleinen Leute nicht!“ Ansonsten: Sein Werk sei getan. „Macht’s gut!“ Abgang Seehofer. Die Delegierten erheben sich zum Applaus. Es ist mehr eine Pflichtübung, so wie man in der Messe eben zum Evangelium aufsteht. Zwei Journalistinnen stehen daneben und stoppen mit ihren Smartphones die Länge des Beifalls. Das Ergebnis: 3:20 Minuten. Angela Merkel, erzählen manche, die dabei waren, habe beim CDU-Parteitag in Hamburg knapp 10 Minuten bekommen.

Ja, die kleinen Leute! Seehofers Verhältnis zu ihnen war lange Zeit besser als das zur eigenen Partei. Nur zu gern sprach er von seiner „Koalition mit dem Volk“. Und in der Tat zeichnete ihn über Jahre ein untrügliches Gespür für die Stimmung in der Bevölkerung aus. Und die Nöte und Bedürfnisse der Bürger lagen ihm auch stets, das darf man ihm glauben, am Herzen. Als Herz-Jesu-Christ hat man ihn früher bezeichnet. Er hat das später selbst oft zitiert; nein, eine Beleidigung sei das nicht für ihn.

„Vergesst mir die kleinen Leute nicht!“

Horst Seehofer, Ex-CSU-Vorsitzender

Sein Nachfolger Markus Söder greift das Bekenntnis zur Sozialpolitik in seiner Rede auf, will Seehofer auch hier beerben. Das „S“ im Parteinamen sei kein Schreibfehler aus der Gründungszeit der CSU. Die Partei müsse wieder bei allen Themen Meinungsführer werden, sagt er, das gesamte Spektrum abdecken: konservativ, sozial, liberal. Das verbinde ihn und Seehofer. Ihnen beiden sei diese Karriere nicht in die Wiege gelegt worden. „Ich komme von der Basis“, sagt Söder und zückt wie zum Beweis seinen Mitgliedsausweis mit der Nummer 324761, unterschrieben vom damaligen Generalsekretär Otto Wiesheu.

Horst Seehofer werden unten in der ersten Reihe gerade Weißwürste serviert, als Parteimitglied Nummer 324761 in den Saal ruft: „Die CSU war nie die Partei der Proseccotrinker, immer die Partei der Leberkäsetage.“ Ebenfalls in der ersten Reihe sitzt Barbara Stamm, Grande Dame der CSU und einstmals ihr soziales Gewissen. Sie freut sich über das Zitat, erzählt dem Mann neben ihr: „Das hat der Strauß damals zu mir gesagt.“ Der Mann, es ist Theo Waigel, erwidert nur: „So viel Leberkäse hat der auch nicht gegessen.“

Und dann wird gewählt. Nicht nur, wie geplant, Söder zum neuen Parteivorsitzenden, sondern gleich auch noch Seehofer zum neuen Ehrenvorsitzenden – ironischerweise auf Vorschlag Söders, seines langjährigen Lieblingsfeindes, der ihm nun schon zum zweiten Mal im Amt nachfolgt. 87,4 Prozent der Stimmen bekommt Söder: ein „ehrliches Ergebnis“. Es ist ausgerechnet der Gast, CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die in ihrem Grußwort später tatsächlich diese Phrase bemüht. Jedenfalls ist es ehrlicher als das, das Horst Seehofer wenig später erhält. Dessen Ernennung zum Ehrenvorsitzenden wird, so Landesinnenminister Joachim Herrmann, der abstimmen lässt, „bei ein, zwei, drei Gegenstimmen mit überwältigender Mehrheit“ angenommen.

Der Vergleich hinkt freilich, da die Delegierten für Söder geheim, für Seehofer offen abstimmen. Erfahrungsgemäß sind Wähler mutiger, wenn niemand sieht, wie sie wählen. Söder selbst kommentiert sein Ergebnis: „Da können wir uns dann weiterentwickeln.“ In der Tat dürfte der neue Parteichef nicht allzu traurig sein, dass er die 90-Prozent-Marke diesmal nicht gerissen hat. Denn im Herbst muss er sich beim nächsten regulären Parteitag erneut der Wahl stellen – ein bisschen Luft nach oben kann da nicht schaden.

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