: Proteste in Polen nach Mord in Danzig
Nach der tödlichen Messerattacke auf Oberbürgermeister PawełAdamowicz warnen Tausende Trauernde vor einer zunehmend vergifteten politischen Atmosphäre
Aus Warschau Gabriele Lesser
Das politische Attentat auf PawełAdamowicz, 63, den beliebten Stadtpräsidenten von Danzig an der polnischen Ostseeküste, lässt den Polen keine Ruhe. In den Straßenbahnen und Bussen sprechen sie über nichts anderes. Zehntausende waren noch am Montagabend, Stunden nach dem Tod des liberalen Politikers, spontan zu Trauer- und Schweigemärschen gegangen.
Niemand musste den Ort verkünden. In Danzig, der Heimatstadt von Adamowicz, war es das Rathaus auf dem Langen Markt, in Warschau der große Platz vor dem Kulturpalast, in Krakau der Hauptmarkt mit der Marienkirche und in Breslau der Neumarkt neben Rathaus und Salzmarkt.
Noch vorgestern feierten die Polen hier wie in anderen Städten das Finale der landesweiten Spendenaktion des Großen Orchesters der Weihnachtshilfe mit einem Benefizkonzert. Am Tag darauf herrscht an den gleichen Plätzen eine bedrückte Trauer. Die Trauerkerzen wurden in der Form eines Herzens aufgestellt: Symbol der fröhlichen Spendenaktion, die dieses Jahr so dramatisch endete.
Die Tat löste auch eine politische Debatte über Hassreden aus. Der Streit zwischen der Opposition und der PiS könne zur Eskalation der Gewalt beigetragen haben, meinen Kritiker. Adamowiczs Stellvertreterin Aleksandra Dulkiewicz mahnte, die Tat dürfe nicht für politische Zwecke benutzt werden.
Adam Michnik, Chefredakteur der „Gazeta Wyborcza“
„Es ist einfach unfassbar“, sagt die Krankenschwester Irena Grabowska im Warschauer Stadtteil Mokotów und stellt zwei Grabkerzen auf die Ladentheke. – „Wie viel?“ – Die junge Verkäuferin in grüner Firmenjacke sagt: „Sieben Złoty“, und fügt hinzu: „Der Hass hat uns alle krank gemacht. Nicht nur der Messerstecher hat psychische Probleme. Wir alle sollten den Hass in uns bekämpfen!“ Ein Handwerker in weißer Malerhose greift nach dem Boulevardblatt Fakt und legt gleich 2,20 Złoty auf die Theke: „Ermordet aus Hass“, steht in riesigen roten Lettern auf der Titelseite. Darüber sieht einen PawełAdamowicz in Schwarz-Weiß an – wie aus einer anderen Welt. Der Maler schlägt die Zeitung auf: „Der Attentäter setzte seinen Plan um“, liest er laut vor, blättert weiter: „Polen in tiefer Trauer“, „Danzig ist eine Warnung für euch!“ Er schlägt die Zeitung zu, klemmt sie sich unter die Achsel und sagt: „Das schaffen wir alleine nicht mehr. Der Hass ist überall, die Hooligans, die Messerstecher.“ Grabowska drückt ihm eine ihrer Kerzen in die Hand: „Heute Abend – 18 Uhr – wieder vor dem Kulturpalast.“ Der Maler sieht sie lange an, sagt dann leise Danke und geht.
Grabowska greift noch nach der linksliberalen Gazeta Wyborcza. Auf der Titelseite steht neben dem Bild von PawełAdamowicz nur ein kurzer Nachruf von Adam Michnik, dem Chefredakteur und berühmten Bürgerrechtler. „Der Hass hat die Freiheit ins Herz getroffen“, so Michnik. „PawełAdamowicz hat sein Leben gegeben für ein tolerantes, pluralistisches und vielfarbiges Polen, eines, das seinen Nachbarn gegenüber freundlich eingestellt war. Polen ohne Pawełwird ärmer und trauriger sein. Aber was für ein Glück, dass sich PawełAdamowicz in der Geschichte unseres Landes zeigte. Zumindest für eine Weile. Adieu, lieber Paweł, und auf Wiedersehen!“
Bedrückt legt Grabowska einen Zehn-Złoty-Schein auf die Theke. Sie schweigt. Die Verkäuferin flüstert fast: „Hoffentlich verschwindet jetzt nicht auch das Große Orchester der Weihnachtshilfe. Jurek Owsiak, der Leiter der Spendenaktion, bekommt ja auch Morddrohungen und will sich zurückziehen. Er hat wohl Angst, dass es ihm so ergeht wie Adamowicz. Ich an seiner Stelle hätte auch Angst.“
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