: Gutes Landabgebrannt
Kakanien aus tschechischer Perspektive: Dušan David Pařízek entkernt am Wiener Volkstheater Franz Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende“
Von Uwe Mattheiß
„Build the wall!“ – oder wenigstens einen Jägerzaun? Bevor es richtig losgeht, ist im Halbdunkel des Wiener Volkstheaters schon reger Betrieb. In der Diagonale des Bühnenraums lehnt eine Reihe von gut vier Meter hohen Baumarkt-Holzlatten lose an Stützgestellen. Schauspieler ergänzen die letzten Lücken (Regie und Bühne: Dušan David Pařízek). Sollte es sich um den Bau des „Hauses Österreich“ handeln, eine Metapher der Habsburger-Dynastie, es wird später krachend zusammenstürzen.
Franz Grillparzer (1791–1872), der schreibende Archivdirektor in der kaiserlich-königlichen Hofkammer, hat 1823 mit „König Ottokars Glück und Ende“ ein antirevolutionäres Märchen verfasst. Rudolf Graf Habsburg (Lukas Holzhausen) aus dem Aargau bootet in einer Reihe von nicht näher zu erläuternden realpolitischen Zügen den mächtigen böhmischen König Ottokar II. Přemysl (Karel Dobrý) aus und wird 1273 nach dem Ende der Babenberger deutscher Kaiser.
Ottokar, eben noch Herrscher von Böhmen bis zur Adria, stirbt bald auf dem Schlachtfeld irgendwo in Niederösterreich an einem Ort mit unaussprechlichem Namen. Hier Rudolf, der milde Völkerversteher, dort Ottokar, der eitle Machthaber mit bonapartistischen Zügen. Das zeitgenössisch tschechische Nationalbewusstsein war davon weniger erbaut, sodass das Stück erst einmal zwei Jahre in der Zensur liegen blieb, bevor es 1825 an der Burg uraufgeführt wurde.
Doch nach der Habsburger Glück und Ende ging die Karriere von Grillparzers Stück unvermindert weiter. Der Grund: Mitten im Stück taucht dramaturgisch eher isoliert ein bukolisch leicht angehauchtes und gelegentlich auch holperndes Gedicht auf: „Es ist ein gutes Land“. Generationen von österreichischem MittelschülerInnen lernten es auswendig oder hatten innerlich mit den Händen an der Hosennaht einen Besinnungsaufsatz darüber zu schreiben. Das Paradox: Der Nationalstaat zapft als Legitimationsquelle die überwundene übernationale Dynastie an. Es ist, als ob die Republik noch ein paar Strahlen von der Sonne ergattern wollte, die im Habsburgerreich einst nie unterging.
Dagegen war Pařízeks Interesse, so erfährt man im Programmheft, die Aufarbeitung der kakanischen Kolonialgeschichte aus tschechischer Perspektive. Er sei der erste tschechische Regisseur, der den Stoff angreift, heißt es. Auch die tschechische Übersetzung, die neben der englischen in der Aufführung übertitelt wird, ist neu. Bislang hatte man in Tschechien Grillparzers „Ottokar“ auf gut Wienerisch „ned amal ignoriert“. Der dortige Verdacht gegen übernationale Beglückungen, ob sie nun von Osten, Süden oder Nordwesten kommen, scheint nach der Lektüre gut nachvollziehbar, auch wenn er gegenüber Europa ideologisch bleibt.
Auf der Bühne dagegen ist die Geschichte schon am Ende und Politik war gestern. Herrschaftszeichen sind Spielmarken. Der wackere steirische Ritter Merenberg (Thomas Frank) trägt sein Wappen nur noch als Strickmuster im Hipsterpullover (Kostüme: Kamila Polívkova). Den Schläger-Hoodie des Habsburg-Skinheads ziert ein roter Löwe. Ottokar dagegen legt es in außerordentlich eng sitzenden goldglitzernden Lurexhosen und den Tattoos auf seinem fleischfarbenen Trikot in erster Linie darauf an, Eindruck bei benachbarten Prinzessinnen zu schinden.
Holzhausen lässt seinen „Ruedi“ Habsburg nach der Mundart seines Stammsitzes im fernen Aargau schweizern. Das scheint in Wien einigermaßen lustig, auch wenn man dabei heimlich auf die englische Übertitelung schielt. Ottokars ganze Sensibilität gilt den Pferden mehr noch als den Frauen. Der Lusitano-Schimmelwallach Fantastico ist unter der Führung von Karel Dobrý wohl eines der wenigen Pferde, denen es auf einer Bühne tatsächlich gut geht.
Pařízek entmythologisiert Grillparzers Figuren gründlich. Von allen schulbuchtauglichen Motiven befreit, sind sie träge Getriebene der Geschichte. Nur was die antreibt, bleibt im Dunkeln. Der Rest ist ein Wechselspiel von schönen Lazzi und derben Scherzen, immer etwas lustiger, als sie sein müssten. Wiens Bürgermeister (Rainer Galke) wirft sich mit einem überdimensionalen Schaumstoffgemächt an der Badehose in die Planschbeckendonau an der Bühnenrampe, ein lokaler Insider-Schmäh die Leibesfülle des hier kürzlich abgedankten Lieblingsbürgermeisters betreffend.
Die Königin von Massovien (Anja Herden) ringt endlos mit dem weißen Königsmantel. Das ist mehr als Slapstick. Weiblicher Körper und royale Repräsentation werden nie eins. An solchen Widerständen und der Herablassung von Karel Dobrýs Ottokar gegenüber den Sachzwängen der Politik scheint plötzlich der Widerstand des Lustprinzips im Gewand der Trägheit auf. Büchners „Leonce und Lena“ winken am Horizont, der Weg allerdings ist weit, verdammt weit.
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