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Ein Schlag und ein zerstörtes Leben

Vor zehn Jahren wurde Johannes M. nach dem Hamburger Schanzenfest vermutlich durch einen Polizeiknüppel schwer verletzt. Vor Gericht kämpft er nun um Schmerzensgeld. Doch die Polizei bestreitet die Täterschaft

Der Kläger und sein Rechtsbeistand: Johannes M. und Dieter Magsam am Dienstag vor Gericht Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Aus Hamburg Marco Carini

Johannes M. hat Probleme, dem Prozess zu folgen. Nach einer knappen Stunde muss Richter Kettelhut die Verhandlung vor der Zivilkammer des Hamburger Landgerichts unterbrechen; der Kläger kann sich nicht mehr auf die Fragen konzentrieren, die Kettelhut ihm stellt. Seit fast zehn Jahren leidet der 45-Jährige unter starken Konzentrationsstörungen, permanenten Kopfschmerzen und einem beidseitigen Tinnitus.

Genau seit dem 13. September 2009 hat Johannes M. diese Beschwerden. An diesem Tag, so sagt er, sei sein „Leben komplett zerstört“ worden. Und exakt um diesen Tag, um das, was in den frühen Morgenstunden im Hamburger Schanzenviertel geschehen ist, geht es in dem Schadensersatzprozess gegen die Freie und Hansestadt Hamburg, der am Dienstag im Hamburger Ziviljustizgebäude begonnen hat.

Vor Gericht fasst Johannes M. noch einmal die Ereignisse zusammen: Mit Freunden habe er auf dem alljährlichen Schanzenfest gefeiert, getrunken, Musik gehört. Es sei kurz vor halb zwei am frühen Morgen gewesen, als die Polizei begann, das Schanzenfest zu räumen. Dieses wird vom Umfeld der Roten Flora veranstaltet und ist nicht offiziell angemeldet.

An der Kreuzung Eifflerstraße/Schulterblatt habe er gestanden, so in ein Gespräch vertieft , dass er erst spät bemerkte, dass Hektik aufkam. Plötzlich hätten alle um ihn herum begonnen zu laufen. Intuitiv sei er mitgerannt, hinein in die Eifflerstraße. Im Laufschritt sei ihm die Frage in den Kopf geschossen: „Warum laufe ich denn weg? Ich habe doch nichts getan.“

Er habe gestoppt und versucht sich an die Häuserwand pressen, die Einheiten vorbeilaufen zu lassen. Als er sich umdrehte, habe er nur eine „schwarze Wand, die auf mich zukam“ gesehen. Dunkle Uniformen, dunkle Helme, die ihn spontan an „Darth Vader“ erinnerten. Dann habe er einen Schlag gespürt und alles sei schwarz geworden.

Eine Stunde später landet M. in der Klinik Hamburg-Altona. Ärztliche Untersuchungen ergeben schließlich, dass sein Schädeldach durchschlagen ist, die Stirnhöhlenvorder- und -hinterwand sind gebrochen. Eine lebensgefährliche Verletzung.

Und die rührt, so stellt ein Sachverständigengutachten des Hamburger Instituts für Rechtsmedizin ein gutes Dreivierteljahr später fest, eindeutig von einem Schlag her. Die Wunde ist geformt wie ein Abdruck. Und der kann, so das Gutachten, „sehr gut in Deckung gebracht werden“ mit der Form eines Tonfa. Der Sorte Schlagstock also, mit der die Polizeieinheit, die die Eifflerstraße hinaufstürmte, bewaffnet war. Radius und Querdurchmesser von Schlagstock und Narbe stimmen exakt überein.

Die Kopfschmerzen, die morgendliche Übelkeit, die gravierenden Konzentrationsprobleme und der beidseitige Tinnitus, die seit diesem Tag Johannes M.s ständige Begleiter sind, zwangen den damals 36-Jährigen, seine Ausbildung zum Technischen Zeichner abzubrechen. Er kann nicht mehr arbeiten, selbst Hilfstätigkeiten überfordern ihn bis heute. Seit 2011 ist M. offiziell „voll erwerbsgemindert“. Seither muss er mit einer Rente von knapp 500 Euro über die Runden kommen.

Schon bald nach dem Vorfall hatte Johannes M. Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt. Doch der Täter konnte nicht ermittelt werden, das Verfahren wurde eingestellt. Ermittelt werden konnte nur, dass es die „Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit Blumberg der Bundespolizei“ war, die den Ausfall in die Eifflerstraße probte. Die bei Potsdam stationierte Kampfeinheit der Bundespolizei ist bekannt dafür, dass sie, etwa bei Castoreinsätzen im Wandland, alles andere als zimperlich ist im Umgang mit DemonstrantInnen und Personen, die sie als Störer einordnet. Videosequenzen der Truppe zeigen das Geschehen kurz vor der Tat, doch in dem Bildmaterial fehlen genau die Momente, in denen Johannes M. zu Schaden kam.

Bereits im Oktober 2010 stellte die Staatsanwaltschaft Hamburg die Ermittlungen ein. Der Kernsatz der Einstellungsverfügung lautet: „Die durchgeführten Ermittlungen haben (…) nicht zur Identifizierung einer konkreten Person geführt, die Ihren Mandanten in jener Nacht verletzt haben könnte.“ Sieben Monate nach dem Vorfall waren sogar die 24 Tonfa-Stöcke der eingesetzen „Blumberger“ daraufhin untersucht worden, ob einem von ihnen genetisches Material des Geschädigten anhaftet. Wenig überraschend aber fanden sich keine DNA-Anhaftungen an den Schlagstöcken.

Die Folgen des Schlags zwingen Johannes M. seine Ausbildung aufzugeben

Bereits 2014 hat der Hamburger Rechtsanwalt Dieter Magsam für Johannes M. die nun verhandelte Schadensersatzklage angestrengt. Es geht um rund 250.000 Euro Schmerzensgeld und Verdienstausfall. Über vier Jahre hat die überlastete Hamburger Justiz gebraucht, um die Klage zuzulassen und den ersten Verhandlungstag auf den vergangenen Dienstag zu terminieren.

Es gibt eine Erwiderung der Beklagten, der Stadt Hamburg, die den Polizeieinsatz geleitet hat und sich an diesem Prozess­tag nicht weiter äußert. Danach könnte theoretisch auch ein anderer Gegenstand als ein Tonfa die Verletzung verursacht haben. Und selbst wenn es ein Tonfa gewesen sei, so heißt es in dem Schreiben, käme auch „einer der Störer“ als Täter infrage, da ein Tonfa auch im Internethandel von jedermann zu erwerben sei.

Denn wenn tatsächlich ein Polizeibeamter den Schlag ausgeführt hätte, so der Schriftsatz, hätten andere Mitglieder der Einheit Blumberg das bemerken müssen – doch kein Beamter habe solch eine Beobachtung zu Protokoll gegeben. Dass dies nicht geschehen sei, sei eine eindeutige „Indiztatsache“, dass solch ein Übergriff der Einsatzkräfte nicht stattgefunden haben könne.

Das Verfahren wird am 1. März fortgesetzt. Dann wird das Gericht entscheiden, ob auch Polizeibeamte und Gutachter im Rahmen der Beweisaufnahme noch gehört werden sollen.

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