Wirlassenlesen!

Sportliche Rückschauen, die viel weiter als über dieses eine Jahr reichen. Aus Nordamerika, Afrika und der großen weiten Welt. Ein Bildband zu 1968, ein Kompendium zum Afrika-Cup und zur größten Eishockeyliga

Schaut auf dieses Jahr! 1968 war auch das Jahr des Sportfotos

Johan Cruyff mit seiner späteren Ehefrau Danny im eher unrebellischen Schlafzimmer Foto: imago

Von Martin Krauß

Es ist schon erstaunlich, dass wir zwar einerseits dem Jahr 1968 das vermutlich bislang berühmteste Sportfoto der Geschichtsschreibung verdanken, andererseits aber der Sport in all den vielen Achtundsechziger-Rückschauen, die im auslaufenden Jahr getätigt wurden, so gut wie gar nicht behandelt wurde. Christian Becker hat sich verdienstvollerweise daran gemacht, mit noch mehr Bildern zu beweisen, dass 1968 für den Sport und damit auch für die Gesellschaft von enormer Bedeutung war.

Selbstverständlich hat Becker auch das berühmte Foto mit Tommie Smith und John Carlos (und, viel zu oft vergessen: der mit ihnen solidarische Silbermedaillengewinner Peter Norman aus Australien) abgebildet, die bei der Siegerehrung des 200-Meter-Laufs bei den Olympischen Spielen in Mexiko, für Black Power demonstrierten. Aber im Buch wird auch der tschechoslowakische Langstreckler Emil Zátopek gezeigt, wie er für den Prager Frühling eintritt. Und Arthur Ashe, der schwarze Tennisprofi und spätere Historiker, der 1968 die US Open gewann (merkwürdigerweise zeigt das Foto allerdings Ashe im Halbfinale von Wimbledon). Und Billy Jean King, die lesbische Tennisspielerin, die 1968 Wimbledon gewann. Und George Best, der wohl erste und größte Popstar der Fußballgeschichte. Da kommt nicht einmal Pele als Karnevalsprinz oder ein sich royal gebender Johan Cruyff mit. Und schon gar nicht der alles andere als antiautoritäre Max Merkel, der 1968 den 1. FC Nürnberg zum deutschen Meister-Titel führte.

Tommie Smith und John Carlos demonstrierten für Black Power, Emil Zátopek für den Prager Frühling

Es sind die Fotos in Beckers Buch, die beweisen, dass Sport integraler Teil des gesellschaftlichen Umbruchs war, für den die Chiffre 1968 steht. Und bemerkenswerterweise sind es nicht die Essays, die er von sportpolitischen Achtundsechzigern versammelt hat. Was Autoren wie Sven Güldenpfennig, einst in Deutschland Mitbegründer einer marxistischen Sportkritik der Neuen Linken, Franz-Josef Kemper, 1968 Olympiateilnehmer im 800-Meter-Lauf, oder Mar­gret Beck, die als rhythmische Sportgymnastin aktiv war, notieren, deckt zwar in gewisser Weise ein paar der relevanten Aspekte ab, aber die Bedeutung des Umbruchs können diese Texte nicht vermitteln. Richtig gehend ärgerlich ist ein kurzer Aufsatz der früheren Diskuswerferin Brigitte Berendonk, Olympiateilnehmerin 1968, die im Rahmen ihrer Antidopingargumentation die sowjetischen Leichtathletinnen Tamara und Irina Press als „Mannweiber“ und „Press-Brothers“ verhöhnt, und der zu den „Geschlechtskontrollen durch Ansehen“, also dem entwürdigenden Schaulaufen nackter Sportlerinnen vor einer Jury, auch im Jahr 2018 partout nichts Kritisches einfallen will.

Zusammengefasst: Es ist ein Befund, der so gar nicht zum theorielastigen Datum 1968 passen will, der auf dieses Buch zutrifft: Die Fotos sind großartig, die Texte hätte es nicht gebraucht.

Christian Becker: „1968 im Sport. Eine historische Bilderreise“. arete Verlag, ­Hildesheim 2018, 124 S., 18 Euro

Über Torschützen und Diktatoren

Es wird anschaulich erzählt, wie verwoben dieses Turnier mit politischen Interessen war

Von Johannes Kopp

Das „Stadion der Freundschaft“ in Cottbus kennt eigentlich jeder Fußballfan in Deutschland. Das „Stadion der Freundschaft“ in Libreville dagegen und seine vielsagende Herkunft nur wenige. Olaf Jansen erzählt sie zum Beispiel in seinem opulenten Werk über die Geschichte des Afrika-Cups. Anlässlich der Austragung des Turniers 2012 finanzierte ein chinesisches Unternehmen die Arena in der Hauptstadt von Gabun. Die 60 Millionen US-Dollar gab man gern aus, versprach man sich doch eine deutlich höhere Rendite durch den Zugang zu den Rohstoffmärkten im zentralafrikanischen Land. Immer wieder zeichnet Jansen nach, wie verwoben dieses Turnier mit politischen Interessen von nah und fern war.

Wie chancenlos etwa Kongo-Brazzaville im Nachbarschaftsduell beim Afrika-Cup 1968 in Äthiopien gegen Kongo-Kinshasa war, weil der dortige Diktator Mobutu Sese Seko den Fußball als politisches Instrument entdeckt hatte, sein Team mit viel Geld förderte und einen ungarischen Trainer engagiert hatte.

Es ist in jedem Fall aber auch eine Enzyklopädie für nerdige Fußballfans. Wer wissen will, welche Spieler noch einmal in welcher Minute bei diesem Vorrundenspiel in Äthiopien die Tore erzielt haben, der erhält verlässlich Auskunft. Alle Partien des Kontinentalwettbewerbs, die zwischen dem Premierenturnier 1957 im Sudan bis zuletzt 2017 in Gabun ausgetragen wurden, hat der Autor knapp nacherzählt. Seit 1994 war er selbst stets vor Ort.

Die Anordnung von Jansen, die Geschichte von der Gegenwart in die Vergangenheit zurückzuerzählen, lädt den Leser zu selbst gestalteten Reisen in Raum und Zeit ein. Dabei trifft man auf Kurzporträts von Starspielern wie Abédi Pelé, Roger Milla oder Samuel Eto’o. Oder stößt auf Interviews mit dem Globetrotter-Trainer Otto Pfister, dem heutigen Coach von Nigeria, Gernot Rohr, oder dem DFB-Scout Urs Siegenthaler, die sich mit der Entwicklung des afrikanischen Fußballs beschäftigen.

Jansen kommt mit seinem weit gefächerten Blick dem Anspruch der möglichst lückenlosen Geschichtserzählung nahe, dies zwingt ihm aber ein rastloses Erzähltempo auf. Vieles, das zur genaueren Betrachtung einlädt, kann nur angerissen werden. Von den einst rosig ausgemalten Zukunftsvisionen des afrikanischen Fußballs ist nicht viel übrig geblieben. Jansen konstatiert, dass seit vielen Jahren schon die attraktiven Darbietungen durch den europäischen Einfluss ausbleiben. Das Vertrauen auf individuelle Qualitäten ist dem Glauben an die Überlegenheit taktischer Systeme gewichen.

Diese Entwicklung geht einher mit einem wachsenden Desinteresse am afrikanischen Fußball in Europa. Olaf Jansen hat das selbst zu spüren bekommen. Für seine detailreiche Gesamtschau hat sich kein Verlag finden lassen, er musste sich einen Dienstleister für Selbstpublikation anvertrauen.

Olaf Jansen: Der Afrika-Cup: Geschichte und Geschichten vom größten Fußballfest des afrikanischen Kontinents. Books on Demand 2018, 592 S., 19,99 Euro

Das erfolgreichste Geschäft auf Eis

Von Jürn Kruse

Es ist erstaunlich, wie wenige Bücher über die NHL es auf Deutsch gibt. Man kann natürlich Bücher über Eishockey im Allgemeinen kaufen, über die Regeln, warum man es lieben sollte, über einzelne Klubs. Und in allen kommt die prominenteste und potenteste Liga der Welt auch vor, aber eben nicht mehr. Bernd Schwickerath, Autor für Spiegel Online, für die FAZ und die Eishockey News, hat das in diesem Jahr nachgeholt und eine Art Handbuch über „Die stärkste Liga der Welt“ veröffentlicht, gegliedert in drei Abschnitte: die Geschichte, das System, die Deutschen.

Das Kapitel über die Deutschen kann man getrost beiseite lassen. Nicht, dass es schlecht geschrieben wäre, aber über die meisten deutschen Akteure gab oder gibt es halt auch so eine ganze Menge an Interviews und Berichten.

Viel interessanter ist die Entstehung der NHL und wie die Liga heute funktioniert: Erzählen diese Kapitel doch viel über das Selbstverständnis von Profisportligen in Nordamerika im Allgemeinen. Die waren nie die Spitze der Körperertüchtigung. Den Mythos, den Vereine und Sportler und vor allem Funktionäre in Europa über Jahrzehnte aufrecht erhielten, dass sich hier die Besten in einem edlen Wettkampf mutig und selbstlos miteinander maßen, wurde in den USA und Kanada gar nicht erst geboren: In der neuen Welt hatte jemand eine Halle und irgendwie musste die halt gefüllt werden. Eishockey war ein aufstrebender Sport. Warum es also nicht damit probieren? Spieler bekamen Gehälter und spielten zur Unterhaltung des Volks. Ligen entstanden, Ligen verschwanden. Die Klubs kamen und gingen, wenn es nicht mehr lief, die Halle abgebrannt oder der Eigentümer mit seinem Sanitäranlagengeschäft pleite gegangen war. Sport war (und ist) ein Geschäft.

Und daraus entstand etwas völlig anderes als in Europa: Geschlossene Ligen, in die man sich einkaufen konnte und kann, die weder Auf- noch Abstieg kennen, in denen Spieler getauscht (was nicht immer so war) und Top-Talente im Draft Pick ausgewählt werden.

Lange wurde dieses Kon­strukt in Europa als künstlich belächelt, Doch der Wind scheint sich zu drehen: Seit hier immer die gleichen Klubs die großen Fußballligen dominieren, Titel holen, die Reichen im Verhältnis zu den Armen immer reicher werden, sehnt sich mancher nach dem System des US-Ligen, nach Gehaltsobergrenzen und so weiter. Die sind zumindest etwas unvorhersehbarer.

Und der Autor lässt in seinem Buch auch die Seiten des Sports nicht aus, die man in offiziellen NHL-Chroniken nicht finden wird: den Hass, das Doping, die Prügeleien, die Hirnschäden, die Toten, von denen sich einige wohl bewusst, andere wohl aus Versehen mit einem Medikamentecocktail suizidierten.

Schwickerath hat es tatsächlich geschafft, die NHL-Buch-Lücke zu füllen. Und – vielleicht noch wichtiger – sein Werk riecht nicht nur nach Fleiß.

Bernd Schwickerath: „Die stärkste Liga der Welt – Eishockey in der NHL“. Verlag Die Werkstatt, 352 S., 19,90 Euro