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„Die Hetze hat danach stark zugenommen“

Die Asylrechts-Anwältin Claire Deery ist Vorsitzende des Flüchtlingsrats in Niedersachsen. Sie hat im Mai den CSU-Politiker Dobrindt angezeigt. Im Interview spricht sie über Anti-Asyl-Kampagnen, verschärfte Behördenpraxis und Drohungen gegen ihre Kanzlei

Interview Reimar Paul

taz: Frau Deery, Sie haben im Mai mit Ihrem Göttinger Anwaltskollegen Bernd Waldmann-Stocker Strafantrag gegen den CSU-Politiker Alexander Dobrindt gestellt – unter anderem wegen Verleumdung. Dobrindt hatte mit Blick auf die Tätigkeit von im Asylrecht engagierten Anwälten von einer „Anti-Abschiebe-Industrie“ gesprochen. Was ist aus der Anzeige geworden?

Claire Deery: Wir waren nicht die einzigen, viele Anwälte in ganz Deutschland haben sich unserer Anzeige angeschlossen. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Berlin lehnt es aber ab, in dieser Sache zu ermitteln, die Verfahren wurden eingestellt.

Warum?

Es gab eine lange Begründung. Zum einen hieß es, Herr Dobrindt wurde vielleicht nicht richtig von der Bild-Zeitung zitiert. Vielleicht seien das gar nicht seine eigenen Worte, vielleicht sei das eine Interpretation gewesen. Zudem habe er uns namentlich ja nicht benannt, und es sei nicht zu erkennen, wen er genau meine. Für die Staatsanwaltschaft war der Kreis der Betroffenen nicht klar.

Sind Sie gegen die Einstellung des Verfahrens vorgegangen?

Wir konnten Beschwerde einlegen, das haben viele Kolleginnen und Kollegen auch gemacht. Diese Beschwerden sind noch anhängig – zumindest ist das mein letzter Stand. Nun muss die Generalstaatsanwaltschaft entscheiden, ob nicht doch eine Strafverfolgung in Betracht kommt.

Sie selbst haben aber keine Beschwerde eingelegt. Warum nicht?

Wegen der Arbeitsbelastung. Wir hatten dafür nur eine Frist von zwei Wochen, dafür fehlte uns einfach die Zeit. Wir haben in der Kanzlei unglaublich viel zu tun, das ist uns dann einfach wichtiger.

Sie wurden ja durch Do­brindt quasi als halb-kriminell gebrandmarkt …

Ja. Die Hetze von Rechts gegenüber unserer Kanzlei hat danach stark zugenommen. Unser Server wurde lahm gelegt, wir konnten zeitweise nicht mehr arbeiten. Wir bekamen Pakete in die Kanzlei geliefert, die wir nicht bestellt hatten. Wir haben Hass-Emails und Drohungen erhalten. Das ging vor allem auch gegen mich, weil ich eine Frau bin und auch noch Ausländerin und Vorsitzende des Flüchtlingsrates.

Dobrindts Äußerungen waren eingebettete in eine Kampagne vor allem der CSU. Markus Söder sprach von „Asyl-Tourismus“, Horst Seehofer wollte Zurückweisungen an der Grenze. Wie hat sich das auf Ihre Arbeit ausgewirkt?

Unsere Mandanten sind sehr nervös. Viele, die einen festen Aufenthaltstitel haben, kommen zu mir und wollen noch eine Beratung, weil sie Angst haben, dass sie trotzdem gehen müssen. Man kriegt nur schwer Ruhe ins Gespräch. Wie schaffe ich es, dass die Mandanten mir auch glauben, dass sie nicht abgeschoben werden? In den sozialen Medien kriegen sie ja die ganze Zeit ein anderes Bild vermittelt.

Es gibt ja nicht nur eine verschärfte Rhetorik in der Asylpolitik, auch die Politik selbst wurde verschärft. Wie gehen Sie damit um?

Ich versuche, ehrlich zu den Mandanten zu sein. Zurzeit werden aus Göttingen viele Menschen nach Pakistan abgeschoben.Ich sage denen, dass die Aussichten, dass sie bleiben können, nicht gut sind. Vor einigen Monaten hätte ich das noch anders formuliert und ihnen vielleicht mehr Hoffnung gemacht.

Claire Deery

36, ist Fachanwältin für Migrationsrecht in Göttingen. Seit vier Jahren sitzt sie dem Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. vor. Sie ist Mitglied im Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) sowie im Beirat des Dachverbands der „Refugee Law Clinic Deutschland“. Sie lehrte an den Universitäten Kassel und Göttingen.

Schlagen sich die Verschärfungen auf das Behördenhandeln vor Ort nieder?

Die Ausländerbehörden in der Region nutzen ihren Spielraum weniger. Dabei hat sich an ihrem Ermessen nichts geändert, ich vermute, dass der Druck entsprechend groß ist. Es fällt auch auf, dass es viele Fehlentscheidungen der Behörden gibt. Es passieren nicht nur beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Fehler, sondern zunehmend auch bei den Behörden vor Ort. Das müssen wir jetzt immer mitdenken, dass die Behörden Fehler machen.

Hat sich die Praxis beim Bundesamt selbst verändert? Gibt es da vielleicht eine Art vorauseilenden Gehorsam?

Nein. Das Bundesamt arbeitet so wie immer. Es ist allerdings schwieriger geworden, das Bundesamt zu erreichen, telefonisch da durchzukommen, ist ein massives Problem. Auch ist Transparenz, wo eine Akte bearbeitet wird, nicht gegeben. Manchmal ist es so, dass im Bundesamt die Akte gar nicht gelesen wurde. Da habe ich was vorgetragen, dann kommt eine Ablehnung, in der wird gar nicht darauf eingegangen, dass der Flüchtling zum Beispiel HIV positiv ist oder eine Tauf­urkunde eingereicht hat. Das ist ärgerlich, da muss man dann vor Gericht. Da gewinnt man dann zwar, aber das ist total unnötig.

Zu der Kampagne gegen das Asylrecht und den Verschärfungen passt ja gut der vermeintliche Skandal um die Bremer Außenstelle des Bundesamtes.

Das ist doch weitgehend verpufft. Mich hat geärgert, dass das so aufgebauscht wurde. Es hat sich ja herausgestellt, dass es sich – wenn überhaupt – nur um wenige falsche Bescheide handelte und nicht um sehr viele. Offen ist ja auch, ob es bei der Endbewertung dieser Fälle von Jesiden aus dem Irak damals andere Entscheidungen hätte geben müssen. Das bezweifele ich nämlich.

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