: Der Zeitgeist auf dem Stativ
„Women Photographer“: Die kleine, hochkarätige und diverse Ausstellung im Freiraum für Fotografie,Fhochdrei, kann auch als spekulative Studie über die Fotografinnen selbst gesehen werden
Von Sophie Jung
Was will sie? Wenn sie in symmetrischer Kühle das Regal voller Weckgläser in einer amerikanischen Farm während der Großen Depression abbildet oder zellulitäre Oberschenkel von der versteckten Kamera in der Umkleidekabine auf ein Großformat zieht? – Die Szenen haben sich tatsächlich abgespielt, ihre fotografischen Aufnahmen erzählen aber vielmehr vom Willen derjenigen, die sie mit der Kamera festgehalten haben. Unter dem einfachen Titel „Women Photographers“ bringt Fhochdrei, der Kreuzberger Freiraum für Fotografie, fünfzehn unterschiedlichste Fotografinnen der letzten hundert Jahre zusammen, darunter Dayanita Singh oder Inge Morath. Nur einmal taucht eine von ihnen vor der Kamera auf. Es ist das zerschlagene Gesicht von Nan Goldin, Berlin 1984. Tagebuchartig machte Goldin ihr eigenes von Drogen und Abstürzen geprägtes Leben zum Sujet ihrer Fotografie. Die anderen vierzehn – Pionierinnen, Kritikerinnen, Dokumentaristinnen – blieben hinter der Kamera. Und hielten jede auf ihre Weise das Objektiv auf die Geschehnisse ihrer Zeit, was diese kleine, hochkarätige und diverse Ausstellung zu einer spekulativen Studie über die Fotografinnen selbst macht.
Die New Yorker Kinderbetreuerin und Amateurin Vivian Dorothy Maier war womöglich einfach nur neugierig. Etwas dreist und mit Blick für die Komposition ihres quadratischen Bildformats hat Maier vornehmlich Frauen auf den Straßen eines Manhattan der fünfziger Jahre fotografiert. Zwei biederen Damen mit Lockenwicklerwellen hielt sie die Kamera unverhohlen vors Gesicht, die Entrüstung ist den Aufgeschreckten hinter ihren Katzenrahmenbrillen noch anzusehen. Eine Mutter zeigt Maier nur von hinten. Fürsorglich beugt sie sich aus dem Bildrand zu ihrem weinenden Sohn hervor, um zugleich mit angestrengter Eleganz Zigarette und Handtasche von ihm wegzustrecken. Es ist die Momentaufnahme einer Gezwängten. Denn trotz Maiers sichtlicher Unvoreingenommenheit gegenüber ihren Figuren spricht eine Faszination aus ihren Bildern gerade für die feine Angestrengtheit all dieser gut situierten Damen der fünfziger Jahre, dieser Ehefrauen und Mütter der Großstadt, der Grace-Kelly-Erscheinungen mit Perlenkette und der Fuchsschal-Behangenen. Maier hat viele ihrer Fotos vermutlich nie gesehen, ihr ging es offenbar nur ums Fotografieren dieser Szenen, wie sich andere flüchtig ein paar Gedanken ins Notizbuch schreiben. Später lagerte sie die entwickelten Filme in ihrer Wohnung, ohne Abzüge zu machen. Erst posthum wurde die Fotografie der 2009 Verstorbenen zur großen Entdeckung.
Zu fotografieren bedeute, sich das Fotografierte anzueignen, sich mit ihm in eine Beziehung zu setzen, die sich wie Wissen über das Abgelichtete anfühle, letztlich wie Macht. So lautete die fundamentale Kritik über die Rolle des Fotografen von Susan Sontag in ihrer Essaysammlung „On Photography“. Den unbehaglichen Porträts von Diane Arbus aus dem prüden Provinzamerika der sechziger Jahre ist jener Hochmut abzulesen, den Sontag anspricht, auch wenn er bei dieser Fotografin ein sehr trauriger ist. Arbus legte ihre Figuren fest, bevor sie sie abbildete. Sonst blickten etwa die Mädchen von ihrem berühmten Bild „Identische Zwillinge“ nicht derart schauerlich in die Kamera, dass sie später zum Vorbild für Stanley Kubricks Verfilmung des Horrorromans „Shining“ wurden. Arbus nahm die beiden 1967 frontal auf, stramm und uniform stehen sie in den gleichen adretten Kleidchen vorm Objektiv, aus den pausbäckigen Gesichtern starren ihre Augen eisern in die Kamera. Arbus wollte mit dieser süß-kalten Inszenierung ein Unbehagen hervorrufen, wie sie es vermutlich auch bei der Gartenszene einer Kleinfamilie 1968 beabsichtigte, deren symmetrische Ablichtung von leicht erhöhter Perspektive vielmehr drei Vereinzelte in der suburbanen Konsumwelt zeigt. Der verfinsterte Blick einer Fotografin, die sich einige Jahre später wegen ihrer Depressionen das Leben nehmen wird, offenbart sich in diesen Aufnahmen vielleicht mehr als das Abgelichtete.
Ob es ihre frühen Porträts der Pariser Avantgarde, die späten abstrakten Wissenschaftsaufnahmen oder die Serie „New York Changing“ aus den Dreißigern ist, die amerikanische Altmeisterin Berenice Abbott dachte Fotografie als Komposition. Die New Yorker Bilderreihe, mit der sie berühmt werden sollte, zeigt eine Großstadt im Nachspiel der Modernisierungen. Stählerne Infrastruktur, Hochhäuser, Mensch und Werbung vermengen sich auf Abbotts dichten Straßenszenen zu schwarz-weißen Liniengeflechten. Auf ihrer Aufnahme von der 8. Straße verkeilen sich die Feuerleitern, Markisen, handgemalten Werbeschilder und ein paar wegen ihrer Bewegung wie hingetuscht erscheinende Passanten zu einem grafischen Muster. Berenice Abbott wollte das Bild.
Bis 10. Februar, Fhochdrei, Waldemarstraße 17, Kreuzberg, Mi.–So. 13–19 Uhr und nach Vereinbarung
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen