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Landschaft mit Leerstelle

Namibia (1): Das Hamburger Museum am Rothenbaum erfindet das ethnologische Museum neu. Inklusive kuratorischer Kinderkrankheiten in der Schau „Ovizire • Somgu: Von woher sprechen wir?“

Von Falk Schreiber

Spät hat man in Hamburg gemerkt, dass der Begriff „Völkerkunde“ problematisch ist: Das örtliche Völkerkundemuseum wurde erst im Juni 2017 umbenannt, deutlich später als andere ethnografische Museen im deutschsprachigen Raum, wie das Weltkulturenmuseum in Frankfurt (2001) oder das Museum Fünf Kontinente in München (2014). Seither firmiert das riesige Haus unter dem sperrigen Kürzel MARKK, Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt. Die Umbenennung hat einerseits damit zu tun, dass man sich in Zukunft kritisch mit der eigenen Disziplin auseinandersetzen will, andererseits auch mit einer Perspektivverschiebung: „Kulturen und Künste“ nimmt den Blick weg vom rein ethnologischen Zugriff und rückt das Haus näher an die Kunst.

Die erste große Sonderausstellung im neudefinierten Museum ist vom Ansatz her einerseits eine Selbstbefragung, andererseits die erwähnte Hinwendung zur Kunst: „Ovizire • Somgu: Von woher sprechen wir?“ behandelt die deutsche Kolonialherrschaft im heutigen Namibia von 1894 bis 1915, einschließlich des Genozids an den Herero und Nama ab 1904.

Das MARKK besitzt rund 1.000 historische Fotografen aus dieser Zeit, meist aufgenommen von Kolonialbeamten und Schutztruppensoldaten – problematische Zeugnisse, die Kolonialismus als exotische Kulisse zeigen, während Gewaltherrschaft und Genozid komplett ausgeblendet werden. Ein Großteil stammt aus der Sammlung des Völkermord-Strategen Alexander von Hirschfeld, Bilder, die man nicht mehr unkommentiert zeigen kann. Eine klare Einordnung dieser Aufnahmen ist ebenso wie eine konsequente Provenienzforschung unverzichtbar, doch bliebe sie immer noch dem eurozentrischen Diskurs verhaftet: Definitionsmacht und Kritik lägen weiter in den Händen der ehemaligen Kolonialherren.

Der Ausstellungstitel meint auf Nama und Herero so viel wie „Schatten“, und schattenhaft wird die koloniale Vergangenheit wahrgenommen: als nicht klar abgegrenzte, verstörende Schemen. „Ovizire • Somgu“ geht entsprechend über die Dokumentation der Vergangenheit hinaus und stellt der historischen Perspektive drei künstlerische Positionen aus Namibia gegenüber. Der Blick der Hamburger Historikerin Ulrike Peters auf den Sammlungsbestand wird kontrastiert von Arbeiten der Multimedia­künstlerin Nicola Brandt, der mit Collagen und Malerei arbeitenden Vitjitua Ndjiharine und des Performancekünstlers Nashilongweshipwe Mushaandja.

Am augenfälligsten wird dieser doppelte Zugriff bei Ndjiharines Installation „Ikono Wall / Mirrored Reality“ (2018). Die Künstlerin nimmt die historischen, auf sogenannten Ikonokatalogkarten archivierten Fotos, entfernt die Afrikaner aus den Aufnahmen und ersetzt die leeren Flächen durch Spiegelfolie. Übrig bleiben Selbstinszenierungen europäischer Kolonialisten, Landschaftsaufnahmen mit Leerstellen – und der Anblick des Betrachters, der sich in die Bilder gespiegelt sieht. Klingt simpel, entpuppt sich aber als vielschichtige Dekonstruktion des kolonialistischen Machtwerkzeugs Fotografie.

Gleichzeitig offenbart sich aber auch der Schwachpunkt der Ausstellung: Das MARKK ist trotz des neuen Namens immer noch ein historisch arbeitendes Museum, mit der Präsentation zeitgenössischer Kunst hat man hier kaum Erfahrung. Und so werden die Werke eben gezeigt wie historische Exponate: als Information, nicht als Inszenierung. Ndji­harines „Zwischen Meer und Land (Von Kamelen zu Museen)“ (2018) landet so mehr oder weniger lieblos (und auch nicht besonders effektiv beleuchtet) in einer Ecke, eine Soundinstallation Mu­shaandjas wirkt unmotiviert in die Raummitte gestellt.

Den Ausstellungskuratoren ist das Problem bewusst, wenn sie Maskenobjekte Ali Aminikoyis zeigen: Der nigerianische Künstler (1880–1920) verkaufte um die Jahrhundertwende mehrere Arbeiten an europäische Sammler. Ihnen wurde auch damals schon Kunstcharakter zugestanden. Ausgestellt wurden sie allerdings weniger im Kunstkontext als in ethnologischen Museen – und dass das MARKK diese Praxis als Geringschätzung erkennt, wirft ein Schlaglicht auf das eigene Verständnis als Institution, die nicht primär im Kunstbereich unterwegs ist.

Namibische Künstler haben Skrupel, ihre Arbeit in einer Institution aus dem Geist des Kolonialismus zu zeigen

Einen Ausweg aus diesem Dilemma weist die selbstkritische Erkenntnis der eigenen Machtverstrickung. Aber trotz guten Willens ist das MARKK eine Institution aus dem Geist des Kolonialismus – verständlicherweise haben namibische Künstler Skrupel, ihre Arbeit an solch einem belasteten Ort zu zeigen. Weswegen „Ovizire • Somgu“ den kleinen, privat betriebenen Kunstraum M.Bassy integriert, der ein paar Straßen weiter ein Forum für afrikanische und afrikanisch beeinflusste Kunst bieten will.

Für die Ausstellung ist dieser Satellit ein Glücksfall: Die Multimediaarbeiten Nicola Brandts schaffen bei M.Bassy einen Zwischenraum an der Grenze von Erinnerung, Archiv und Interpretation. Fotos wie „Next to the Graves“ (2011) oder „The Fence“ (2018) dokumentieren auf den ersten Blick Landschaften um Swakopmund, verweisen aber tatsächlich auf Gräber in der Namib, Zeugnisse des Genozids ab 1904 – hinter den vorgeblich wertfreien Szenarien verbergen sich traumatisch besetzte Orte.

Hier hängt mit „We shall not be ­moved“ (2018) auch eine weitere Collage Ndjiharines, die eine alternative Erzählung zu den kolonialistischen Fotografien ermöglicht – und trotz der beengten Räumlichkeiten viel besser zur Geltung kommt als die Arbeiten im MARKK. Im Grunde macht „Ovizire • Somgu“ so alles richtig: Der Blick auf die eigene Arbeit ist selbstkritisch, die Definitionsmacht wird abgegeben, die Kunst als Mittel für historische Interpretation erweist sich als interessanter Ansatz. Dass die Präsentation an einigen Stellen hakt, kann man als Kinderkrankheit interpretieren, durch die man durchmuss.

Bis 12. April 2019. Museum am Rothenbaum (MARKK), und M.Bassy, Schlüterstraße 80, Hamburg

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