heute in hamburg: „Eine Nachricht aus einer idealen Welt“
Bernhard Docke, 63, ist Strafverteidiger. 2006 erhielt er die Carl-von-Ossietzky-Medaille für sein Engagement für die Befreiung von Murat Kurnaz aus Guantanamo.
Interview André Zuschlag
taz: Herr Docke, die Erklärung der Menschenrechte durch die UN ist jetzt 70 Jahre alt. Ist das ein Anlass zur Freude oder überwiegt bei Ihnen die Skepsis, ob dieses Stück Papier überhaupt Wirkung hat?
Bernhard Docke: Eine Mischung aus beidem. Der Text ist feierlich-pathetisch abgefasst und liest sich heute wie eine Nachricht aus einer fernen idealen Welt. Natürlich besteht eine große Kluft zwischen dem Zustand der Welt und dem Leitbild der Erklärung.
Höre ich da ein Aber?
Sie hat eine bedeutende positive Strahlkraft: Diverse Artikel sind mittlerweile über völkerrechtliche Verträge bindendes Recht geworden. Sie ist wie ein Fixstern weltweiter Orientierungs- und Mobilisierungspunkt für politische Bewegungen. Und es wird wohl ein ewiger Kampf bleiben, die in vielen Ländern bittere Realität in Richtung des Ideals zu verbessern.
Sie haben Murat Kurnaz vertreten, der fünf Jahre lang zu Unrecht in Guantanamo saß. Dass er das Foltergefängnis verlassen konnte, lag aber nicht unbedingt an der juristischen Durchsetzung der Menschenrechte, sondern eher daran, dass die US-Regierung kein Interesse mehr an ihm hatte, oder?
Wir haben in den USA bis zum Supreme Court Erfolge gehabt, die aber durch gezielte Gesetzesänderungen und Rechtsmittel unterlaufen und nie in Richtung Freilassung effektiv wurden. Bereits 2002 wollte die US-Seite, nachdem sie von der Unschuld Kurnaz’überzeugt war, ihn freilassen. Dies scheiterte jedoch – unsäglich – an der deutschen Regierung. Man ließ ihn im Foltergefängnis im Stich. Erst die 2005 gewählte Bundeskanzlerin Merkel setzte sich für seine Freilassung ein, die dann im August 2006 erfolgte.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat kürzlich Rumänien und Litauen verurteilt, weil sie sich der Komplizenschaft beim CIA-Folterprogramm schuldig gemacht haben. Wie muss man sich das vorstellen?
Vortrag und Diskussion „Menschenrechte vs. CIA-Gefängnisse in Europa“: 18 Uhr, Juristische Fakultät, Rothenbaumchaussee 33Eintritt frei
Rumänien und Litauen haben in ihren Ländern geheime CIA-Foltergefängnisse, sogenannte Black Sites, zugelassen und sich damit nach der Entscheidung des Gerichts der Beihilfe zur unmenschlichen Behandlung schuldig gemacht. Auch die Überstellung der Gefangenen in die USA war rechtswidrig, da dort die Gefahr der Todesstrafe und der Versagung jeglichen Rechtsschutzes drohte. Meines Wissens sitzen beide Kläger heute noch ohne Anklage in Guantanamo.
Der rumänische Staat muss dem Kläger ein Schmerzensgeld von 100.000 Euro zahlen. Führt das zu einem Umdenken?
Kurnaz hat bis heute keinen Cent erhalten. Es ist wohl weniger die Höhe der Entschädigung, als eine hoffentlich abschreckende politische Prangerwirkung, als Folterkomplize gebrandmarkt zu werden. Es sind deshalb ungemein wichtige Urteile.
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