Paris setzt auf Diplomatie mit den Gelbwesten

Die DemonstrantInnen sind entschlossen, ihren Protest in den kommenden Tagen fortzusetzen. Frankreichs Regierung will verhandeln. Doch mit wem eigentlich?

Aufräumarbeiten nach den Krawallen vom Wochenende in Paris: „Macron Rücktritt“ (Macron Demission) soll nicht länger am Arc de Triomphe stehen Foto: Thibault Camus/ap/dpa

Aus Paris Rudolf Balmer

Frankreich kommt auch nach dem Wochenende der Straßenschlachten nicht zur Ruhe. Im Netz zirkulieren bereits Aufrufe zum „Vierten Akt“ im laufenden Drama: die Gilets ­jaunes setzen ihren Protest fort. Am Montag wurden in der französischen Hauptstadt zerschlagene Schaufenster von geplünderten Geschäften repariert, ausgebrannte Autos abtransportiert und die Reste der Barrikaden beseitigt. Vor dem Triumphbogen, dessen mit Slogans besprühte Fassaden bereits gesäubert worden sind, knipsten Touristen ihre Souvenirfotos. Die Spuren der schweren Krawalle vom Samstag versinnbildlichen, dass Staatspräsident Emmanuel Macron vor einem politischen Scherbenhaufen steht. Schuld an der Eskalation ist er weitgehend selbst. Für ihn scheint dies aber keineswegs ein Grund für einen Kurswechsel oder Selbstkritik zu sein.

Er setzt eher auf Repression als auf Versöhnung: Schon am Nachmittag mussten rund 60 der mehr als 400 am Samstag bei den Zusammenstößen Festgenommenen im Schnellverfahren vor Gericht antreten. Sie riskieren bis zu sieben Jahre Gefängnis. Wie Justizministerin Nicole Belloubet bestätigt hat, sollen die Schuldigen streng bestraft werden. Macrons Priorität ist es, seine angekratzte Autorität als gewähltes Staatsoberhaupt gegen die immer radikaleren Forderungen der „Gelben Westen“ zu verteidigen.

Macron hält sich weiterhin zurück. Er hat seinem Premierminister, Edouard Philippe, den Auftrag gegeben, zuerst mit Vertretern der Parteien, der Regionen und danach mit repräsentativen Sprechern der Protestbewegung über einen Ausweg aus der Krise zu verhandeln. Das Problem des Regierungschefs besteht darin, dass niemand wirklich repräsentativ ist für diese vielschichtige, nicht identifizierbare und unberechenbare Bewegung. Wer immer sich als SprecherIn zeigt, wird von der Basis wieder verunglimpft. Vor einer Woche wurden in einem Online­verfahren acht WortführerInnen nominiert. Daraufhin wurde ihre Wahl derart kritisiert, dass sie nicht mehr als Gesprächspartner auftreten konnten.

Justizministerin Nicole Belloubet will Randalierer vom Wochenende hart bestrafen

Für heute hat Premierminister Philippe eine zehnköpfige Delegation der Gelbwesten zu einem Verhandlungsgespräch eingeladen. Zwei dieser aus den Medien bekannten Personen, nämlich die bretonische Hypnosetherapeutin Jaclin Mouraud und Benjamin Cauchy, ein Kleinunternehmer aus Toulouse, haben ihr Fernbleiben bereits angekündigt – da sie Morddrohungen erhalten haben. Ohnehin hatte Mouraud zuvor ihre Teilnahme von der Erfüllung der Hauptforderungen der Bewegung abhängig gemacht. Dazu gehört die Rücknahme der geplanten Erhöhung der Treibstoffabgaben am 1. Januar 2019.

Brenzlig wird die Lage für die Regierung aber auch deshalb, weil nun andere Bewegungen von der Dynamik der Gilets jaunes profitieren und diese gleichzeitig unterstützen wollen. So waren am Montag rund hundert Mittelschulen besetzt worden. Auch die Studentengewerk­schaften rufen dazu auf, sich mit den Aktionen der Gelbwesten zu solidarisieren. Spektakulär war am Montag auch eine Aktion der selbständigen AmbulanzfahrerInnen, die wie die Gelbwesten mit rund 300 Fahrzeugen die Pariser Seine-Brücke zwischen der Concorde und der Nationalversammlung blockiert haben. Sie protestieren damit gegen eine Reform, die das Geschäft des Patiententransports für die Konkurrenz öffnen soll. In anderen Städten haben sich Gewerkschaften mit Kaufkraftforderungen den Gelben Westen angeschlossen. Eine solche „Konvergenz der Kämpfe“, von der die Linke in Frankreich träumte, hätte der Staatsführung gerade noch gefehlt.