Wir irren des Nachts umher

Künstlerisch gereift: Soap & Skin und ihr neues Album „From Gas to Solid / You Are My Friend“

Empathie am Wasser: Soap & Skin geht der Sache auf den Grund Foto: Evelyn Plaschg

Von Steffen Greiner

Dass es Wasser ist, was sie umgibt, können Fische nicht wissen. Mit diesen Worten begann US-Schriftsteller David Foster Wallace 2005 seine berühmt gewordene Rede an den Abschlussjahrgang eines Kunst-Colleges. „This is Water“ heißt sie, und sie handelt davon, dass die banalsten Realitäten gewöhnlich am schwersten zu erkennen sind: Etwa jene, die besagt, dass uns die quasi standardmäßig eingestellten Perspektiven auf die Welt, auf die Menschen, die uns umgeben und die Ziele, die wir uns stecken, auffressen. Wahre Freiheit, sagt Wallace, liege darin, sich für die Unsexyness der Empathie und Aufmerksamkeit gegenüber den anderen zu entscheiden. „Das hier ist Wasser, das hier ist Wasser“, sich daran zu erinnern, gibt der Autor den Studierenden mit auf ihren Weg ins Erwachsenwerden, ein Mantra gegen die Achtlosigkeit.

Jüngere LeserInnen

Dass Wallace im deutschsprachigen Raum eine ganz andere Generation beeinflusst hat als in seiner Muttersprache, mag paradox erscheinen. Aber es hat damit zu tun: 2008, in seinem Todesjahr, war Wallace’zwölf Jahre zuvor im Original veröffentlichter, genresprengender Roman „Unendlicher Spaß“ noch nicht mal ins Deutsche übertragen. So wurde also ein Autor der US-Generation X hierzulande verspätet zum Autor der Generation Y, der Millennials. Ergo ist es auch kein Zufall, dass eine Popkünstlerin wie die Österreicherin Anja ­Plaschg, Jahrgang 1990, ihn als großen Einfluss nennt. „(This Is) Water“ ist die direkteste Referenz, ein kurzer Track auf ihrem neuen Album als Soap & Skin, „From Gas to Solid / You Are My Friend“, aber noch viel mehr ist es die Zugewandtheit gegenüber der Welt, die die Musik von Soap & Skin mit der Rede von David Foster Wallace verbindet. Gas, Flüssigkeit, Feststoff, vom Vulkanischen und vom Verwesen erzählen die Bilder, das Cover, die Videos, vom Mensch in den Elementen, die in ihrer Rohheit doch vor allem eines sind: wunderschön.

Es ist das dritte Album von Soap & Skin und sie veröffentlicht es fast ein Jahrzehnt nach ihrem Debüt und ganze sechseinhalb Jahre nach dem seinerzeit als Mini-Album deklarierten „Narrow“. Wieder ist es eines, das Soundtrack zu sein scheint für Lebenserfahrungen. Mit ­Plaschg, die schon als 18-Jährige ihr Debüt veröffentlichte, wird eine ganze Generation erwachsen: Der ziellose, aber intensive Sturm und Drang der Adoleszenz, Depressionen und Ausbrüche prägten damals „Love­tune for Vacuum“, aber so ins Artifizielle gebrochen, dass sie jedem Kitsch aus dem Weg gehen konnte. Über „Narrow“ stand das Trauma vom Verlust ihres Vaters, in ungeschliffenen Zeilen sang sie sich in seinen Sarg. Vielleicht ist es wirklich die Geburt und das Heranwachsen ihres ersten Kindes, das die Produktion des neuen Albums nun anstieß. „I have no fear“, singt ihre fünfjährige Tochter über Blechbläser, die gerade zögerlich entdeckt haben, dass sie auch Triumphmarsch können, in der Vorabsingle „Heal“, eine große, expressionistische Soundcollage. Es ist ausgestellt künstlerisch, wie ­Plaschg am Computer den analogen Orchestersound nachbaut, aber emotional wirkmächtig.

Wie Plaschg am Computer Orchester-sound nachbaut, wirkt künstlich, ist aber emotional wirkmächtig

Es ist nicht so, dass sie auf ihrem neuen Album mit einer neuen Klangsprache arbeiten würde: ­Plaschgs Mittel sind weitgehend seit Mitte des letzten Jahrzehnts bekannt und auserzählt. Da ist der klassische Slowcore der Jahrtausendwende, den Soap & Skin mit ähnlich erhabener Langsamkeit abruft wie die US-Band Low. Da ist der dramatisch perlende, dunkel springende Elektropop ihrer Anfangstage. Da ist der Breitwandsound, den die isländische Band Sigur Rós einst begründetet. Manches bei Soap & Skin ist klassisches Kunstlied, etwa, wenn sie schwere Klavierakkorde zu ins Englische übertragenen Zeilen von Ingeborg Bachmann setzt. „Erklär mir, Liebe“, heißt das Gedicht, und Plaschgs Lied, bezeichnend: „Creep“. In „Palindrome“ singt ein Tenor ein lateinisches Palindrom: „In girum imus nocte et consumimur igni“ – wir irren des Nachts im Kreis umher und werden vom Feuer verzehrt.

Es ist nicht auf einmal die Sonne, die hereinscheint in die Klangwelten von Soap & Skin. Aber die Drohung des Todes, die Angst ist abgemildert, weil ihr Blick sich von der Wallace’schen Standardeinstellung abgewendet hat, in der das Selbst das einzige Zentrum des Universums, in der Leben nur narzisstische Kränkung ist. So gesehen ist „From Gas to Solid“ fast liebreizendes, aber dennoch dunkles Bekenntnis zum Leben, ein Axtschlag, zu enden die Jugend ihrer Generation. Die Generation Y gibt an die Generation Z ab, das wäre der Subtext des Covers, das das Album beschließt: „What a Wonderful World“, im Original von Louis Armstrong, einer der ikonischsten Pop-Songs überhaupt, kaum noch unironisch zu interpretieren. Soap & Skin macht genau das. Vielleicht vollzieht Plaschg hier einen Spielzug nach, der aus einer anderen Ecke der Musikgeschichte bekannt ist. Punk war schließlich nicht zu Ende, als Ulf Poschardt eine Ansage gemacht hat. Nein, es war in dem Moment, als in Sid Vicious’Interpretation von „My Way“ 1978 der unbedingte Wille zur Zerstörung durch den tiefen, ehrlichen Respekt ersetzt wurde, den er dem Song und seinem Sänger Frank Sinatra entgegenbrachte, der noch durch jede zerschundene Silbe dringt. Da gibt es vor und neben und nach uns Menschen, sagt sein „My Way“. Und brach damit seine Standardeinstellung auf, soweit ihm das möglich war, vielleicht – nicht, dass es ihn gehindert hätte, zum Mörder zu werden. Plaschg wurde das, soweit bekannt, eben nicht. Was ihr Song „Wonderful World“ begeht, in seiner ganzen Ernsthaftigkeit, in seiner Harmonie, vor allem in dem, was das Lied dann am Ende tatsächlich aussagt, ist jedoch etwas ganz Ähnliches.

Es verknüpft die Sängerin und ihre rätselhafte Musik mit dem großen Strom der Menschheit. Von seiner Weigerung zu versiegen erzählt dieses Album.

Soap & Skin: „From Gas to Solid / You Are My Friend“ (Play it again Sam)