: Verwaltung elektrifiziert
Rechnungen an die Verwaltung können in Bremen ab sofort elektronisch gestellt werden. In einem Jahr wird die sogenannte E-Rechnung verpflichtend. Das Land ist damit Vorreiter
VonJean-Philipp Baeck
Im Science-Fiction-Film „Matrix“, der Ende der 1990er-Jahre in die Kinos kam, konnten die Menschen noch wählen, ob sie die blaue oder die rote Pille schlucken. Je nachdem, für welche Farbe sie sich entschieden, wachten sie auf und erkannten, dass sie in Wahrheit die ganze Zeit in einer digitalen Welt aufwuchsen.
Im echten Leben ist das anders. Im Jahr 2018 ist jedem klar, dass die Welt längst digital ist – beängstigend wenn auch meist nicht ganz so böse, wie im Film. Anders läuft es allerdings bei der Digitalisierung öffentlicher Infrastruktur und vor allem in der Verwaltung. Hier hängt man noch in den 1980ern: Während die Menschen in den Wartezimmern der Bürgerzentren sich die Zeit auf ihren Smartphones vertreiben, stellen sie ihren Antrag auf Papier. In einem Vergleich zur Digitalisierung der Verwaltung ist Deutschland auf Platz 21 der 28 EU-Mitgliedsstaaten.
Ausgerechnet das kleine Bremen aber stemmt sich seit einiger Zeit gegen diesen Trend. Seit Mittwoch ist es nun das erste Bundesland, in dem es möglich ist, Rechnungen an die Stadt Bremen, Bremerhaven oder die städtische Gesellschaft Immobilien Bremen digital einzureichen. In einem Jahr wird diese sogenannte „E-Rechnung“ zur Pflicht. Die Einführung läuft zeitgleich in den Bundesministerien.
Das Ganze ist so „revolutionär“, dass es im Rathaus mit einem Festakt begangen wurde. Denn die elektronische Rechnung ist nicht mit einem einfachen PDF-Dokument in einer E-Mail zu verwechseln. Sie betrifft nicht nur den Versand, sondern die ganze Verarbeitung, die nun unter anderem über ein Online-Portal läuft. Das soll schon beim Ausfüllen auf Fehler hinweisen.
„Es wird am Ende eine Menge Arbeitszeit, Papier und Geld sparen“, sagte Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne). Das Ressort arbeitete dafür unter anderem mit dem Innen- und dem Familienministerium des Bundes, aber auch mit Handelskammer und Handwerkskammer zusammen. Schließlich sind nicht nur große Betriebe mit Buchungssoftware betroffen, sondern auch der kleine Malerbetrieb von nebenan.
Bei der Digitalisierung der Verwaltung ist das Finanzressort Vorreiter. Den bundesweit einheitlichen Standard „XRechnung“ hat Bremen entwickelt. Das ist kein Zufall: Im Bremer Finanzressort ist auch die zentrale Koordinierungsstelle für IT-Standards von Bund und Ländern angesiedelt.
Und die sind nötig: Das 2017 verabschiedete Onlinezugangsgesetz listet mittlerweile über 570 Verwaltungsleistungen auf, die Bund, Länder und Kommunen bis spätestens 2022 verpflichtend auch elektronisch anbieten sollen. Die E-Rechnung ist eine davon.
Dass es bei der Umsetzung am wenigsten an der Technik hapert, zeigt sich auch an einem weiteren Vorzeigeprojekt aus Bremen. Als es vor zwei Jahren in der Elterngeldstelle zu Tumulten kam, weil Eltern wegen Personalknappheit monatelang warten mussten, wurde im Finanzressort eine digitale Lösung angeschoben. Die ist mittlerweile fertig: Per App namens „Elfe“, kurz für „einfache Leistungen für Eltern“, könnten Eltern mit wenigen Klicks das Geld beantragen.
Könnten. Denn obgleich die Software längst funktioniert, ist der rechtliche Rahmen noch nicht gesteckt: Daten verschiedener Behörden müssen hier zusammengeführt und unter anderem die Lohnsteuerdaten abgerufen werden. Eine rechtliche Lösung könnte es bis zum Frühjahr geben – für Verwaltungsmaßstäbe also in Lichtgeschwindigkeit. Diese Zusage habe er Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und Wirtschaftminister Peter Altmaier (CDU) kürzlich in Berlin abgerungen, erklärte Staatsrat Henning Lühr.
Aber auch andere Hürden sind bei den Digitalisierungsprozessen zu nehmen. Andreas Reichel vom öffentlichen IT-Dienstleister Dataport erklärte etwa am Mittwoch, dass die Online-Zugänge, die mit der E-Rechnung für Außenstehende nötig seien, in Sachen Sicherheit zunächst eine Herausforderung waren.
Für Peter Klinger vom Institut für kooperative Systeme an der Fernuni Hagen sind Datenschutz-Bedenken hingegen vor allem eine Bremse. Die Digitalisierung kann ihm gar nicht schnell genug gehen, wie er im Rathaus sagte. Sie sei schlicht notwendig: 26 Prozent der Angestellten in den Behörden seien über 55 Jahre alt und es gebe zu wenig Nachwuchs. Ohne computergestützte Rationalisierung drohe der Kollaps – so wie in der Elterngeldstelle vor zwei Jahren.
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