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Von Krisen- und Glücks-momenten

Neue Kinderbücher überzeugen mit einem Comic über blinkende Fußballschuhe, mit intelligenten Gedanken für schlaflose Nächte und einer lebendigen Bilderzählung zur deutschen Teilung

Die 1980er im Kinderbuch: Pioniersein im Osten und bolzen im Westen Foto: Gehm/Klein

Von Eva-Christina Meier

Auch im aktuellen Herbstprogramm der hiesigen Kinderbuchverlage sind die Illustratoren der Frankfurter Ateliergemeinschaft Labor stark vertreten. Erst im Frühjahr hatte es ihre inspirierende Gemeinschaftsproduktion „Ich so du so. Alles super normal“ in die Auswahl der für den Jugendliteraturpreis nominierten Sachbücher geschafft.

Einer der Labor-Mitbegründer ist der Zeichner und Kinderbuchautor Philip Waechter. Seine zahlreichen Veröffentlichungen zeugen von aufrichtiger Neugier für die Erfahrungswelt, die Krisen- und Glücksmomente seiner jungen Protagonisten. Ihrer Perspektive verpflichtet, lotet er mit freundlichem Witz die oft widersprüchlichen Interessen von Kindern und Erwachsenen im Alltag aus. Dabei gelingt ihm mit leichtem Strich auch ein zeitgenössisches Bild von urbaner Kindheit und vielfältigem Familienleben zu skizzieren.

Philip Wächter: „Toni. Und alles nur wegen Renato Flash“. Beltz & Gelberg, Weinheim 2018, 64 S., 14,95 Euro. Ab 6

In seinem Buch „Toni. Und alles nur wegen Renato Flash“ erzählt der 1968 geborene Frankfurter als Comic in farblich abgesetzten Kapiteln von Toni, einem ziemlich aufgeweckten Jungen, seiner Ballbegeisterung und der Sehnsucht nach dem neuesten Modell blinkender Fußballschuhe. Doch die absolute Dringlichkeit dieses Weihnachtswunsches scheint weder zu seiner aufgeschlossenen Mutter noch zum eigentlich verbündeten Großvater durchzudringen. Ganz der tragische Held, macht sich Tim also auf den Weg, um selbst das nötige Geld für „Renato Flash“ aufzutreiben – mal mit Flyeraustragen, mal mit Straßenmusik oder Hundeausführen.

Unterwegs macht Toni die zufällige Bekanntschaft mit Lotte, und seine verlässlichen Freunde sind ebenfalls stets in Reichweite. Doch wie gewonnen, so zerronnen, ergeben sich für den fußballbegeisterten Jungen aus jedem Job neue Verpflichtungen. Bald stellt er ernüchtert fest: „Zu Hause wusste ich mal wieder nicht, ob ich einen tollen oder einen saudoofen Tag gehabt hatte!?“ Außerdem können Erwachsene alle nicht mehr richtig Weihnachten feiern. Doch elterliche Vernunft darf niemals siegen, und so liegt am Ende nicht nur für Mieze, die Katze, eine Dose Thunfisch unterm Weihnachtsbaum.

Wie Waechter gehört auch Moni Port zur Ateliergemeinschaft der Frankfurter Illustratoren. In „Das schlaflose Buch“, ihrer jüngsten Veröffentlichung, verwandelt sie das quälende Einschlafthema in einen überbordenden Bilder- und Gedankenstrom und macht es dadurch äußerst produktiv. „Ich kann nicht einschlafen“, denkt das Kind in der dunklen Nacht. „Meine Gedanken hüpfen von Ast zu Ast, vom Hölzchen aufs Stöckchen.“ Dieses kreative Prinzip assoziierenden Denkens übersetzt die Autorin in einen bunten Mix aus Zeichnungen, Collagen, Fotografien und gefundenem Material.

Moni Port: „Das schlaflose Buch“. Klett Kinderbuch, Leipzig 2018, 112 S., 12 Euro. Ab 5

Von der schweren Zunge des Blauwals zu den Elefanten, vom VW-Käfer zu den Insekten, von bulgarischem Hochzeitsbrauch zum Thema Geld und der Frage nach dem Wertvollsten im Leben. Mal bereitet das Bild, mal der Text den Übergang für die folgende Seite vor. So bildet sich ein Fluss wilder Gedanken aus enzyklopädischem Wissen, aus Anekdoten und philosophischen Fragen. Was ist die Welt und wer bin ich? Spielerisch (fast schon im Schlaf ) – gelingt es Moni Port, zum Nachdenken darüber anzuregen.

Angenehm unverkrampft versuchen auch Franziska Gehm und Horst Klein in „Hübendrüben“ die Geschichte der zwei deutschen Staaten und der Wiedervereinigung als bildstarke Nummernrevue für Kinder nachvollziehbar zu machen. Detailreich und anschaulich mit Buntstiftzeichnungen festgehalten, erzählen die im Osten geborene Autorin und der im Westen aufgewachsene Illustrator in „Hübendrüben“ vor allem vom Alltagsleben der Kinder in beiden deutschen Staaten.

Franziska Gehm/Horst Klein: „Hüben­drüben“. Klett Kinderbuch, Leipzig 2018, 40 S., 14 Euro. Ab 7

So genießt Max aus der BRD den Spanienurlaub und geht zum Kommunionsunterricht, während seine Cousine Maja auf der gegenüberliegenden Buchseite das Ferienlager oder den Pioniernachmittag in der DDR besucht. Dabei gibt es hüben und drüben eine Menge von fast vergessenen Objekten und Ritualen mit unterhaltsamem Nostalgiefaktor zu entdecken. Die räumlich halbhoch im Buchfalz gestaltete Berliner Mauer ist besonders gelungen. Glücklicherweise aber verlieren die Autoren den historischen Kontext und die politische Realität der deutschen Teilung trotzdem nicht aus den Augen. Verständlich und knapp liefert das Erzählbilderbuch auch zu deutschem Nationalsozialismus und russischer Perestroika Informationen, ohne die Anfang und Ende der DDR auch im Kinderbuch nicht zu verstehen wäre.

Als Günther Schabowski vor fassungslosen Reportern 1989 die Öffnung der innerdeutschen Grenze verkündet, machen sich auch Maja und ihre Familie auf den Weg, um sich mit Max und seinen Eltern auf der anderen Buchseite zu treffen.