Zielsicher ins Ungewisse

„Hiatus“ heißt diese erste Inszenierung der frisch umformierten Tanzkompanie Unusual Symptoms am Bremer Theater. Und es beginnt mit einer Absage an das gesprochene Wort, oder überhaupt: an einfache Antworten

Das Risiko, in der Gruppe unterzugehen: Das Stück „Hiatus“ am Theater Bremen Foto: Jörg Landsberg

Von Jan-Paul Koopmann

Es ist ja bald Sprechtheater, wie der sich da quält. „I need more space“ presst Schauspieler Michai Geyzen über die Lippen. Ein gewaltiger Kraftakt inmitten der so schönen wie fragilen Vertrautheit einer wirklich emotionalen Gruppenszene. Der Sprecher aber windet sich raus aus all den Tänzer*innen und versucht dann eben, anderswo unterzukommen – schon wieder.

„Hiatus“ heißt diese erste Inszenierung der frisch umformierten Tanzkompanie Unusual Symptoms am Bremer Theater. Und es beginnt mit einer Absage an das gesprochene Wort, oder überhaupt: an einfache Antworten. Denn das bisschen Text bezeugt wirklich eine sinnlose Qual. Zum Beispiel bei dieser Verhörszene. Antworten kommen schnell, wo es um Banales geht: Augenfarbe, Größe, Gewicht. Aber, wo es kompliziert wird – „Was ist deine größte Angst?“ – da folgt einfach nur Schweigen. Sprache ist hier ein Tasten nach dem richtigen Ausdruck – und ihr Scheitern das Eingeständnis, dass der Tanz noch sehr viel mehr zu erzählen hat.

Nun ist die Herumdeuterei am zeitgenössischen Tanztheater eine müßige Übung, bei den Unusual Symptoms vielleicht noch etwas mehr als anderswo. Aber das zentrale Thema liegt diesmal ja nun wirklich auf der Hand: Es geht ums Zusammenfinden der Einzelnen, um das Risiko, in der Gruppe nicht auf-, sondern unterzugehen. Und umgekehrt um die Frage: Wie schmiedet man aus dem Casting wirklich bemerkenswert ausdrucksstarker Charaktere eine Formation, die ihre Mitglieder nicht sofort weginhaliert.

Choreograf Helder Seabra aus Portugal macht es so: Er lässt Alexandra Llorens, der schillerndsten Erscheinung unter den Neuen, allen Raum, den ihr Ausdruck verlangt. Dann trippelt sehr vorsichtig Nóra Horváth in die Lücken, verblüfft erst spät – dann aber so richtig – mit ihrem akrobatischen Ausdruck. Dass als Dritte auch noch Young-Won Song dazwischen passt, liegt an der unglaublichen Präzision ihrer Bewegungen. Harmonisch wirkt das alles nicht. Im Gegenteil: Die Choreografie lebt von ihren passgenau gesetzten Reibungspunkten auch mit den alteingesessenen Tänzer*innen der Kompanie. Gabrio Gabrielli etwa, der seit Jahren dabei ist, fügt sich nicht nur unprätentiös ein, sondern bildet mit hingeschlackerter Lockerheit auch noch einen markanten Kon­trapunkt zum drahtig-präzisen Schritt des neuen Kollegen Andor Rusu.

Kurzum, die Choreografie ist zum Schneiden dicht konzipiert mit diesen acht Akteur*innen auf der von Matthieu GötzBühnenbild noch weiter verengten Spielfläche des Kleinen Hauses am Goetheplatz. Die angeschrägt abgehängte Decke bildet einen Trichter, kreuz und quer daran arrangierte Leuchtstoffröhren zielen auf diverse weitere Fluchtpunkte, die alle miteinander irgendwo draußen – außerhalb des Theaters – liegen.

In diesem diffus organisierten Raum schreiten die Tänzer*innen herum, studieren zunächst mechanisch die von ihnen erwarteten Bewegungsabläufe ein und probieren sie dann an- und miteinander aus. Ein erlösendes Finden aber gibt es nicht – dafür immer neue Versuche, über das ein oder andere Ventil ein bisschen Druck abzulassen. Wirklich: Die Tänzer*innen scheinen vor Energie zu zittern, kratzen hektisch durch die Luft und über den Boden.

Zu Stijn Vanmarsenilles elektronischen Beats und seiner dröhnenden E-Gitarre wird sich berührt, dieses Zittern auf die anderen übertragen: ein schließlich synchron zuckendes Menschenknäuel, das sich ohne Höhepunkt wieder auflöst und seine Teile weiter wuseln lässt. Der Druck ist wohl echt, dass nach rund 70 Minuten harten Körpereinsatzes noch alle auf den Beinen sind, ist schon erstaunlich. Am deutlichsten wird das ergebnisoffene Interesse, das diese Inszenierung am gesellschaftlichen Miteinander unübersehbar hat, in einem wirklich schönen Bild: Da steht allein der Single, daneben zwei Zweierpärchen und andere, die polymäßig zu dritt versuchen, einander über die Bühne zu schleppen. Spaß macht das sichtlich alles, ein garantiertes Happy End hat aber trotzdem keine der Konstellationen im Angebot.

Das Wie bleibt also offen, obwohl von dieser Premiere natürlich alle eine Botschaft erwarten: wie es jetzt weitergeht nämlich, mit dem Bremer Tanz, dessen Leitung Samir Akika nach sechs Jahren an Alexandra Morales und Gregor Runge abgegeben hat. Künstlerisch wird es mindestens interessant, für die Beteiligten sogar ziemlich aufregend: „Zurück zu den Wurzeln“, hat Gregor Runge neulich gesagt: Weil es die Unusual Symp­toms damals mit ihrem Umzug ans Bremer Theater mit organisierten Strukturen und einer Hie­rarchie zu tun bekamen, die ihnen fremd waren.

Jetzt teilen sich immerhin wieder zwei die Last an der Spitze. Und fürs Publikum, zumindest das hat „Hiatus“ ohne Mehrdeutigkeiten und Ambivalenzen geklärt, geht es auch mit neuen Gesichtern lückenlos weiter auf hohem Niveau.

„Hiatus“: am 30. 11. sowie am 12. und 20. 12., 20 Uhr, Theater Bremen, Kleines Haus