Kampf gegen Klischees

In Berlin leben rund 40.000 Menschen palästinensischer Herkunft und werden mit vielen Stereotypen bedacht. Drei Porträts von Palästinenser*innen, die sich engagieren – jenseits aller Schablonen

Keine genauen Zahlen: 35.000 bis 40.000 Palästinenser*innen leben in Berlin, ein Fünftel der Palästinenser*innen in Deutschland. Genauer lässt sich die Anzahl nicht fassen: Da die Vereinten Nationen Palästina nicht als Staat anerkennen, gelten viele als staatenlos oder besitzen die Nationalität anderer arabischer Länder, etwa des Libanon, Jordaniens oder Ägyptens.

Einwanderung Die palästinensischen Einwander*innen haben unterschiedliche Migrationswege und -hintergründe, leben unterschiedlich lange hier und haben ganz individuelle Beziehungen zu ihrem Herkunftsland oder dem Herkunftsland ihrer Eltern und Großeltern. Ein Großteil der in Berlin lebenden Palästinenser kam aus dem Libanon nach Deutschland, nachdem dort Mitte der 70er Jahre der Bürgerkrieg auch zu schweren Angriffen auf palästinen­sische Flüchtlingslager führte. Viele der Jüngeren sind deshalb Flüchtlinge in der vierten Generation: Die Urgoßeltern flüchteten 1948 aus Israel, die Großeltern mit den Eltern als kleine Kinder dann weiter nach Deutschland. (heh)

Von Hanna El-Hitami
(Texte) und Sarah Johanna Eick (Fotos)

Sie haben selten gute Presse: BerlinerInnen palästinensischer Herkunft tauchen in der medialen Berichterstattung meist als Schulversager, Intensivtäter, in Zusammenhang mit antisemitischen Vorfällen oder – wie jüngst beim Mord an ­Nidal R. am Tempelhofer Feld – mit kriminellen Clans auf.

Dazu kommt die besondere Lage, in der sich Palästinenser*innen in Deutschland befinden. Ihre Vorfahren wurden bei der Gründung Is­raels vertrieben oder flüchteten später vor der israelischen Besatzung: nach Deutschland, ins Land des Holocaust, der grausamsten Judenvernichtung der Geschichte. In vielen palästinensischen Familien, auch in Berlin, ist die Vertreibung aus der Heimat als „Nakba“ bekannt, zu Deutsch „Katastrophe“. Während der 70. Jahrestag der israelischen Staatsgründung in diesem Jahr auch in Berlin gefeiert wurde, haben Palästinenser*innen hier der Vertreibung lieber im Stillen gedacht.

„Wir Palästinenser stehen unter Generalverdacht“, sagt der ehemalige Leiter einer palästinensischen Organisation, der anonym bleiben möchte – wie auch eine der auf diesen Seiten Porträtierten, die hier lebt und sich kritisch gegenüber der israelischen Besatzungspolitik äußert. „Viele junge Palästinenser*innen trauen sich nicht, sich zu engagieren“, glaubt er. „Sie haben Angst, dass das ihrer beruflichen Karriere schaden könnte.“

Die drei Porträtierten engagieren sich. Sie stehen nicht repräsentativ für die 40.000 Palästinenser*innen in Berlin (siehe Kasten). Aber jede von ihnen stellt ein Thema dar, das Palästinenser*innen in Berlin jenseits der Stereotype beschäftigt. Sie nutzen die sozialen, kulturellen und akademischen Räume der Stadt, um sich mit einer Identität auseinanderzusetzen, die viele Konflikte birgt: So stößt die Akademikerin Yara N.* immer wieder an die Grenzen der Meinungsfreiheit, wenn sie sich in ihrer Forschung kritisch mit der israe­lischen Besatzungspolitik befasst.

Der Aktivist Fouad El-Haj, geboren in einem libanesischen Flüchtlingslager, war als Erwachsener erstmals im Heimatland seiner Eltern. Er will endlich weg von der politischen Debatte und sich stattdessen kulturell und wirtschaftlich engagieren. Andere wie Lara Ziyad haben die alte Heimat erst vor Kurzem verlassen. Als Staatenlose fragt sich die Künstlerin, wie gerecht eigentlich Pässe sind und wie eine ideale Heimat für sie aussehen würde – Kopien von Herkunftsdokumenten schreddert sie und macht daraus Kunst.