„Ich spreche anders, wenn ich vor einem Stein stehe“

Franciska Zólyom, Kuratorin des Deutschen Pavillons der Venedig-Biennale, über Algorithmen, Sprache und Fragen des Zugangs

Natascha Süder Happelmann, Fuel to the Fire, 2016, Installationsansicht Tensta Konsthall, Stockholm Foto: Jean Baptiste Beranger/Deutsche Pavillon Venedig

Interview: Sarah Alberti

taz: Frau Zólyom, kürzlich gaben Sie bekannt, für den Deutschen Pavillon mit Natascha Süder Happelmann zusammenzuarbeiten. Hinter dem Namen verbirgt sich die Künstlerin Natascha Sadr Ha­ghighian, die Installationen und Performances macht sowie mit Text und Klang arbeitet. Wer ist Natascha Süder Happelmann?

Franciska Zólyom:Der Name „Natascha Süder Happelmann“ ist eine Anpassung an die spezifische Aufgabe des Deutschen Pavillons. Das ist eine bewusste und auch lustvolle Wahl, um zu schauen, was passiert, wenn man eine leichte Verschiebung vornimmt. Die Frage ist grundsätzlich: Wie bezeichnen wir Dinge? Wie benennen wir Phänomene? Wie schaffen oder verschleiern diese Bezeichnungen Wirklichkeiten? Was transportieren Namen? Die Namensanpassung der Künstler*in greift ein Phänomen auf, das jeder kennt: Man macht die Post auf und liest seinen Namen in abgewandelter Form. Viele Menschen legen sich regelrecht Sammlungen der Falschschreibungen an. Auch durch die elektronische Datenverarbeitung kommt es immer wieder zu falschen Zuordnungen, etwa des Geschlechts. Im Kunstbetrieb wiederum steht der Name für eine Marke. Und je ausgeprägter diese Marke ist, desto wichtiger ist der Name.

„Natascha Sadr Haghighian“ ist tatsächlich wenig eingängig. Jeder Marketingexperte schlägt da die Hände über dem Kopf zusammen.

Die Künstler*in hat 2004 bio­swop.net initiiert, eine Tauschbörse, auf der sie Biografien von Künstlerkollegen und -kolleginnen sammelt und die Möglichkeit schafft, sich eine Biografie zu leihen. Neben der Engführung zwischen Biografie und künstlerischem Werk gibt es mittlerweile eine Unzahl von Rankings, die von Algorithmen generiert werden. Da zählt: Wer hat wo ausgestellt? Wer ist in welchen Sammlungen? Auch Alter oder Herkunft sind relevant, wobei sie je nach Kontext zu- oder abträglich sein können. Als ich die Künstler*in zum ersten Mal gegoogelt habe, kam heraus, dass sie wie ich in Budapest geboren sei. Erst später habe ich verstanden, dass der Standort meines Computers für diese Biografie verantwortlich war.

Die Mandys und Kevins dieser Welt haben es nachweislich schwerer, Karriere zu machen. Gleiches gilt für nicht deutsch klingende Namen. Das diese Verbindung von kunstsystemimmanenten Fragen und Alltagsrealität schon im ersten künstlerischen Akt für den Deutschen Pavillon gelingt, lässt mich hoffen.

Diese Hoffnung will ich gern nähren. Nicht nur Personen, auch Dinge, Institutionen und Verwaltungsvorgänge erhalten einen Namen. Wie kann man Menschen für die Wirkmacht von Sprache sensibilisieren oder das eigene Sprechen so anpassen, dass es offene Denk- und Handlungsräume schafft? Welche Stimmen dringen überhaupt in den öffentlichen Diskurs? Es geht auch darum, Vorstellungen von „Gemeinschaft“ zu dynamisieren, einen Raum aufzumachen zwischen dem Individuellen, das klar abgrenzbar, einzigartig und in seiner Form geschlossen ist, und dem, was sich über Vielförmigkeit, Affinitäten, Nähen, gemeinsame Interessen transportiert – über das, was wir teilen können, an Erfahrungen, an Gedanken, an Verständnissen für die Welt, in der wir leben. Die Künstler*in übt institutionelle Kritik, aber nicht indem sie etwas bloßstellt, sondern indem sie Werkzeuge schafft, die bestimmte Mechanismen aushebeln können. Bei der Pressekonferenz Ende Oktober trat sie mit einer Steinmaske auf. Das hat einen unmittelbaren Effekt: Ich verhalte mich anders, wenn ich vor einem Stein stehe.

studierte Kunstgeschichte in Paris und Köln, war Kuratorin am Budapester Museum Ludwig und leitet nach einem Stipendium am Hamburger Bahnhof in Berlin das Institute of Contemporary Art im ungarischen Dunaújváros. Seit 2012 ist sie Direktorin der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig.

Die Künstlerin Natascha Sadr Haghighian ist Professorin für Bildhauerei an der Hochschule für Künste in Bremen. Sie untersucht in ihren Arbeiten, welche bio- und geopolitischen Wechselwirkungen und Verstrickungen der Welt zugrunde liegen. In ihren prozessbasierten Projekten kommt häufig der kollektive und transdiszipli­näre Aspekt von künstlerischer Arbeit zum Tragen.

Die gesamte Pressekonferenz war wie der Name eine leichte Verschiebung, eine Art Performance. Statt der Künstlerin sprach eine Sprecherin über sie, die auch die Fragen der anwesenden Journalisten beantwortet hat. Warum?

Oft spricht die Kuratorin in Anwesenheit der Künstlerin über die Künstlerin. Auch von Aus­stellungseröffnungen kennt man das, dieses Öffentlich-beschrieben-Werden oder Öffentlich-anerkannt-oder-gewertet-Werden. Das sind sehr komische tradierte Formen, mit denen ich mich nicht identifizieren kann. Was passiert dann? Wird die künstlerische Position weniger wichtig, die kuratorische wichtiger oder andersrum?

Die Sprecherin sagte, die Künstlerin thematisiere offene Geheimnisse. Bei der Documenta 14 war die Künstlerin an der Gründung der Society of Friends of Halit beteiligt, die sich dem Tod des neunten Opfers des NSU widmete. Bei der Documenta 13 schuf sie einen Trampelpfad, der zeigte, dass die städtebauliche Terrasse, von der man einen Blick in die Karlsaue hat, aus Kriegstrümmern aufgeschüttet wurde.

Sie hat das Material unter anderem mit Historikern und Botanikern untersucht und gefragt, welche Geschichten der Vergangenheit, aber natürlich auch der Gegenwart man daran ablesen kann. Kassel und Umgebung sind ja nach wie vor Zentren der deutschen Waffenproduktion. Die Documenta wiederum ist nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden, um gesellschaftliche Rehabilitation voranzutreiben, gesellschaftlichen Wiederaufbau mittels der Kunst zu befördern.

Nach der Pressekonferenz Ende Oktober wurde ein vierminütiges Video veröffentlicht. Der Stein läuft durch eine offenbar ländlich geprägte Region, bleibt an bestimmten Stellen stehen, betrachtet Situationen. Der Abspann nennt die Drehorte: Donauwörth, Manching, Bamberg und Ellwangen. Es sind Standorte sogenannter „Ankerzentren“ in Bayern und Baden-Württemberg. Ein erster Anhaltspunkt für die thematische Ausrichtung des Pavillons?

Foto: Stefan Fischer/Deutscher Pavillon Venedig

Es ist nicht die erste und sicher nicht die letzte Biennale, bei der Fragen der Zugehörigkeit thematisiert werden. Wir unterschätzen, welche Konsequenzen diese Fragen für uns alle haben. Der Stein hat jetzt eine Reise begonnen und schaut sich in Deutschland bestimmte Situationen an, die Fragen aufwerfen, die über Deutschland hinaus wichtig sind: Für wen gelten Menschenrechte? Wer hat das Recht auf Selbstbestimmung? Wer genießt Bewegungsfreiheit? Ich musste bei dem Video an die Menschen denken, die sich zu Fuß auf den Weg aus ihren Ländern Richtung Europa gemacht haben. Abschottung hilft vor dem Hintergrund von globalen ökologischen und sozialen Fragen der Gegenwart wohl kaum. Die öffentlichen Diskurse in Deutschland haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass die Frage, wer Zugang wozu hat und in welcher Form, die ganze Gesellschaft durchzieht. Es gibt viele Barrieren und Ausschlussmechanismen, die entlang von sozialer Zugehörigkeit, von finanziellem Vermögen, von Bildung verlaufen. Diesen Fragen mit einer poetischen Stimme zu begegnen halte ich für eine sehr gute Möglichkeit. Denn das Nachdenken ist viel grundlegender, als dass man da jetzt einen einzelnen Aspekt oder eine konkrete Fragestellung herausgreifen könnte.

Was sind die nächsten Schritte bis zur Eröffnung des Pavillons im Mai?

Wir sind mitten in der Produktion. Ende Februar ist eine zweite Pressekonferenz in Leipzig geplant. Natascha Süder Happelmann ist wichtig, dass alle Oberflächen, auf denen ihr Biennale-Beitrag in Erscheinung tritt, Teil der künstlerischen Realisierung sind. Diese hat mit der ersten Pressekonferenz begonnen und auch der Film auf der Webseite ist eine Einladung, auf diesen Weg mitzukommen.

www.deutscher-pavillon.org. Die Langfassung des Interviews unter: www.taz.de