piwik no script img

Streit um das Asowsche Meer

Russland setzt drei ukrainische Schiffe fest. Die neue Eskalation verletzt einen Vertrag von 2003

Aus Kiew Daniel Schulz

Der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin twittert: „Jetzt ist Krieg mit der Russischen Föderation“, der russische Fernsehmoderator und bekannte Putin-Unterstützer Dmitri Konstantinowitsch Kisseljow behauptet in seiner Fernsehshow, die USA hätten den Ukrainern befohlen, die Russen zu provozieren, und Ihor Voronchenko, der Oberbefehlshaber der ukrainischen Kriegsmarine, versicherte, alle Schiffe in der Straße von Kertsch seien in Alarmbereitschaft und auf weitere Angriffe vorbereitet.

Der russische Übergriff auf drei Schiffe der ukrainischen Marine und deren Beschlagnahmung, wobei sechs ukrainische Seeleute verletzt und etwa zwanzig festgenommen wurden, ist der bisher schwerste, aber nicht der erste Vorfall im Asowschen Meer. Er bedeutet eine Eskalation des schwelenden Konflikts zwischen Russland und der Ukraine. Und er löste Alarmstimmung in der ukrainischen Hauptstadt Kiew aus. Das ukrainische Parlament wollte am Montag darüber beraten, für 60 Tage das Kriegsrecht zu verhängen, das ermöglicht, Kundgebungen zu verbieten, Medien zu zügeln und Wahlen zu verschieben.

In Brüssel tagten am Nachmittag die für sicherheitspolitische Fragen zuständigen BotschafterInnen der 28 Mitgliedsstaaten. EU-Ratspräsident Donald Tusk verurteilte „den Einsatz von Gewalt durch Russland“ und betonte, die EU stehe vereint hinter der Ukraine. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, das Bündnis unterstütze „die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine“. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte Poroschenko telefonisch zu, alles zu tun, um die Lage zu beruhigen. Außenminister Heiko Maas kündigte an, Frankreich und Deutschland seien bei Bedarf bereit, sich als Vermittler einzuschalten.

Seit Russland 2014 die Halbinsel Krim völkerrechtswidrig annektiert hat, betrachtet es das Asowsche Meer einseitig als Binnengewässer der Russischen Föderation. Das steht im Widerspruch zu einem russisch-ukrainischen Abkommen von 2003, in dem gleiche Rechte beider Staaten im Asowschen Meer vereinbart worden waren. Laut dem Abkommen können sich Handels- und Kriegsschiffe der beiden Länder auch in der Straße von Kertsch ungehindert bewegen.

Dennoch haben russische Patrouillenboote der Grenzpolizei in den vergangenen Monaten ukrainische Schiffe kontrolliert und am Weiterfahren in die ukrainischen Häfen Mariupol und Berdjansk gehindert. Zudem entsandte Russland mehr als hundert Kriegsschiffe in die Region. Im Mai 2018 weihte der russische Präsident Wladimir Putin die Brücke von Kertsch ein, die das russische Festland mit der Krim verbindet und es Moskau außerdem ermöglicht, die Zufahrt in das Asowsche Meer zu sperren. Seitdem vertritt Russland seine Ansprüche noch aggressiver – und zwar mit der Begründung, es müsse die Brücke vor Angriffen ukrainischer Radikaler schützen.

Ohnehin sorgt die Höhe der Brücke dafür, dass Schiffe, deren Aufbauten höher als 33 Meter sind, sie gar nicht durchfahren können. Die Aktivisten von Black Sea News, einer NGO, die sowohl die Lage im Asowschen Meer beobachtet als auch, welche Schiffe sich der Krim nähern, schreiben, im Juli seien 62 Schiffe von der russischen Grenzpolizei festgesetzt worden – ausnahmslos alle, die in dieser Zeit durch die Straße von Kertsch fahren wollten.

Auch durch die immer länger dauernden Kontrollen entgingen der Ukraine hohe Summen, sagte der ukrainische Infrastrukturminister Volodymyr Omelyan. Der Hafen von Mariu­pol sei gezwungen, den Betrieb auf vier Tage pro Woche zu reduzieren. Ukrainische Politiker und Militärs sprechen daher oft von einer Blockade der Russen. Die Häfen von Mariupol und Berdjansk sind unter anderem wichtig für den Export von Getreide und den Import von Kohle.

Vertreter der ukrainischen Marine haben mehrfach betont, sie hätten Russland ordnungsgemäß über die geplante Fahrt der drei Schiffe informiert. Dennoch hat die russische Küstenwache offenbar einen ukrainischen Schlepper gerammt, wie es ein seit gestern kursierendes Video nahelegt. Wie dieses Video, das offenbar von russischen Seeleuten auf dem rammenden Schiff aufgenommen wurde, ins Internet gelangte, ist unklar. Der ukrainische Innenminister Arsen Awakow behauptet auf Twitter, seine Leute seien mit „Spezialwerkzeugen“ an den Inhalt eines Mobiltelefons der Seeleute gelangt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen