Kinoempfehlung für Berlin: Filme, die strahlen

Das Independent-Festival „Around the World in 14 Films“ in der Kulturbrauerei stellt an zehn Tagen herausragende Werke des jungen Weltkinos vor.

Ray & Liz (GB, 2018), R. Richard Billingham Foto: Primitive Film

Ray scheint sich von einem bräunlichen Gesöff zu ernähren, von dem ihm ein bärtiger Riese regelmäßig drei volle Flaschen auf die Anrichte stellt. Sie tragen kein Etikett und könnten etwas wie Rum mit Cola enthalten. Das Geheimnis wird nicht gelüftet. Nur, dass etwas Alkoholisches der Mischung beigemengt sein muss, daran bestehen recht bald keine Zweifel mehr.

Denn jener Ray in Richard Billinghams erstem langen Film, „Ray und Liz“, erinnert nicht umsonst an den Mann, den sich Ende der Neunziger zahlreiche Menschen in der berühmten Fotoserie „Ray’s a Laugh“ besahen: Billinghams Vater, Alkoholiker mit wirrem Haar, Katzenwerfer. Richard Billingham nahm die Fotos damals auf, landete einen riesigen Erfolg und wurde sogar für den renommierten Turner Prize nominiert.

Dass dieser Richard Billingham nun auch ein begnadeter Regisseur ist, wird in „Ray und Liz“ schnell deutlich. Der Film ist detailliert, stimmig und zielsicher inszeniert und er ist durchsetzt von Episoden, die schrecklich, tragisch und eklig sind, gleichzeitig aber auch sehr komisch.

Da pisst der Hund etwa auf einen Brief, der gerade durch den Türschlitz gesteckt wurde, und Ray – dieses Mal in einer jüngeren Version, denn der Film operiert auf zwei Zeitebenen – platziert ihn, nachdem er ihn ein wenig abgeschüttelt hat, einfach unter den Stapel anderer Briefe in einer Schublade. Ungelesen. Noch immer nass.

Around the World in 14 Films: 22. 11.–1. 12., Kino in der Kulturbrauerei, Programm unter: www.14films.de

Eine kleine Anekdote, herausgegriffen aus diesem britischen Working-Class-Albtraum, in dem von der Straße aufgepickte Zigarettenstummel in einem Glas auf ihr letztes Streichholz warten, Kaninchen im Kinderwagen durch den Park gefahren werden und Kinder in schmutzigen Klamotten unterwegs sind.

Es ist erstaunlich – und absolut sehenswert –, wie der mittlerweile längst entwachsene Spross auf seine Familie und das Milieu blickt, dem er entstammt: nahezu objektiv. Dazu arbeitet er mit einem wundervollen Soundtrack, der sich über Siouxsie and the Banshees, Dusty Springfield, Musical Youth und The Fine Young Cannibals erstreckt.

Around the World in 14 Films“ heißt das Festival, das „Ray & Liz“ noch vor Kinostart auf die Leinwand bringen wird, und zwar die der KulturBrauerei, dem Hauptveranstaltungsort. Vierzehn Filme aus vierzehn unterschiedlichen Ländern, zumeist Festival-Picks aus Venedig, Locarno, Cannes oder Toronto, die bereits einen gewissen Schweif der Anerkennung tragen, sich in die Gunst von Publikum, Fachleuten und Jurys spielen konnten.

Einen solchen besitzt auch „Our Time“ von Carlos Reygadas. Und nicht nur er, sondern auch Reygadas selbst, den das British Film Institute 2016 als „the one-man third wave of Mexican cinema“ bezeichnet hat. Bis auf „Our Time“, bzw. „Nuestro Tiempo“, waren alle seine Langfilme in Cannes zu sehen, wurden dort mit Preisen ausgezeichnet und haben dem 47-Jährigen den Ruf eingebracht, einer der interessantesten Filmemacher der Gegenwart zu sein.

Davon lässt sich in den knapp drei Stunden, die „Our Time“ sich nimmt, überzeugen. Im Grunde ist es die Geschichte einer Ehe, die von sich behauptet, liberal und bedingungslos zu sein, die durch das Auftauchen eines Fremden jedoch mit dem eigenen toten Winkel konfrontiert wird.

Das Paar, bestehend aus Juan (Carlos Reygadas) und Esther (Reygadas Ehefrau Natalia Lopez), hat seinen gemeinsamen Lebensmittelpunkt auf eine luxuriöse Farm konzentriert. Juan ist jedoch mehr als ein gewöhnlicher Rinderzüchter – er ist auch ein mit Auszeichnungen dekorierter Dichter.

Als Phil (Phil Burgers), ein Zureiter, aber auf der Bildfläche auftaucht, entspinnt sich – auf dem Rücken von Esther – ein Wetteifern, das zunächst den Anschein erweckt, als ginge es beiden Männern um die Liebe zu ihr.

Nach und nach aber wird deutlich, dass hier vor allem zwei Bullen aufeinander zurennen, auch wenn der kluge Mann sich den Einsatz von Hörnern zu verkneifen weiß, anders zu taktieren versteht. „Our Time“ feiert im Rahmen des Festivals Deutschlandlandpremiere, bevor er im kommenden Jahr von Grandfilm ins Kino gebracht wird.

Eine echte Liebesgeschichte gibt es dafür in Wanuri Kahius „Rafiki“ zu sehen, nämlich eine von nahezu shakespeareschem Ausmaß: zwei junge Kenianerinnen, Kena und Kiki, Töchter von Politikern im Wahlkampf, verlieben sich ineinander.

Neben verfeindeten Familien gesellen sich in „Rafiki“ (das Wort kann u. a. mit „Freundin“ übersetzt werden) aber auch Homophobie, Geschlechterstereotype und Aberglaube hinzu. Ein demotivierendes Gemenge, dem der Film einiges entgegensetzt, auch visuell: Er strahlt.

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

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